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Mittelrisalit des Koblenzer Schlosses von Ixnard und Peyre mit dem Festsaal hinter den Säulen.

Advent in Koblenz 1.12.1791

Am Donnerstag nach dem ersten Advent genießen Kurfürst Clemens Wenzeslaus und sein Bruder im Koblenzer Schloss eine Mozartsinfonie und Arien von Cimarosa und Haydn.

Adventsakademie im Koblenzer Schloss

von Karl Böhmer

Koblenz, am 1. Dezember 1791: Viel zu viele französische Emigranten drängen in den Festsaal des Koblenzer Schlosses, um die wöchentliche Akademie der Hofkapelle zu hören. Unruhe entsteht im Saal und Unbill beim Kurfürsten Clemens Wenzeslaus. Der sächsische Prinz, der seit 1768 über Kurtrier herrscht, achtet sonst streng auf die Einhaltung der Rangordnung in der „Hofmusik-Akademie“: Zuerst nehmen Landhofmeister, Obrist-Kämmerer, Obermarschall und Hofmarschall Platz, dann die Staatsräte, hohen Offiziere und adligen Hofräte, schließlich die Kammerjunker und anderen Chargen. Nach der Einweihung des neuen Schlosses 1786 hat der Kurfürst zwar eine gewisse Lockerung gestattet, um auch die Damen angemessen zu platzieren: die Kammerdienerinnen und Ratsfrauen, die Ehefrauen und Töchter der Kaufleute. Doch was die Franzosen an diesem Abend veranstalten, setzt alle Ordnung außer Kraft.

Mozart-Sinfonie

Auch Maestro Pompeo Sales ist irritiert. Es dauert lange, bis endlich Ruhe im Saal einkehrt und der Hofrat und Hofkapellmeister vom Cembalo aus das Zeichen zum Anfang geben kann. Konzertmeister Lang leitet vom ersten Geigenpult aus eine Sinfonie von Mozart – sicher eine der beiden Sinfonien, die 1785 im Wiener Verlag Artaria im Druck erschienen sind (KV 319 oder 385). Mozarts „Prager“ und die drei letzten Sinfonien sind im Koblenz des Jahres 1791 noch unbekannt. Ebenso wenig können die Zuhörer ahnen, welches Drama sich zur selben Zeit in Wien abspielt: Der große Mozart liegt im Sterben. Vier Tage später wird er das Zeitliche segnen – zum Entsetzen aller Mozart-Liebhaber, die auch in Koblenz schon eine stattliche Gemeinde bilden.

Cimarosa-Arie

Dass eine gewisse Tragik über diesem Adventskonzert liegt, ist zumindest einem der Zuhörer schmerzlich bewusst: Franz Xaver von Sachsen, dem ältesten Bruder des Kurfürsten. Mit seiner italienischen Frau und seinen Kindern ist ihm die Flucht aus dem revolutionären Frankreich gerade noch gelungen – vor den marodierenden Mörderbanden, die auch die Umgebung seines Schlosses in der Champagne unsicher machen. Bei seinem jüngsten Bruder Clemens Wenzeslaus hat er Asyl gefunden, doch wie lange wird Koblenz vor den französischen Revolutionstruppen noch sicher sein? Die Brüder fürchten um das Schicksal ihres Neffen, des französischen Königs Louis XVI. Anfang Juli ist er auf seiner Flucht in Varennes entdeckt und wie ein Verbrecher nach Paris zurückgebracht worden – unter dem Triumphgeschrei der Massen. Auch Königin Marie-Antoinette ist nun eine Gefangene im eigenen Land. Daran muss Franz Xaver denken, als die Koblenzer Sopranistin Caterina Carnoli eine herzzerreißende Arie von Cimarosa anstimmt: „Se cerca, se dice“ aus der Olimpiade. Der Held Megacle muss von seiner Geliebten Aristea Abschied nehmen so wie die Königin von Frankreich von ihren Getreuen. Die Trennung zerreißt Megacle das Herz. Aufgewühlt von Cimarosas Tönen fragt sich auch Franz Xaver, wohin ihn seine Reise noch führen wird.

Zwei virtuose Hornisten und ein Tenor

Rasch überfliegt der sächsische Prinz den schön geschriebenen Programmzettel des Abends und wendet sich dem „Concert à deux cors“ zu, das nun folgen soll. Alles, was die Koblenzer Hofmusik an ersten Kräften aufzuweisen hat, wird von seinem Bruder Clemens in diesem Adventskonzert aufgeboten. „Mentzl“ und „Xaverl“, wie sich die Brüder im Wiener Jargon ihrer verstorbenen Mutter nennen, wissen, dass dieses Konzert auch politisch von höchster Bedeutung ist. Denn welcher Franzose würde an einem so kleinen deutschen Hof ein so großes Orchester, so brillante Sänger und so fähige Solisten vermuten? Die herausragende Qualität seiner Hofmusik fällt auf den Fürsten zurück. Bessere Hornisten als die beiden Dornaus sind jedenfalls auch im großen Paris nicht zu finden. Das weiß der Kurfürst und lässt das grandiose Doppelkonzert für zwei Hörner vom Wallersteiner Kapellmeister Antonio Rosetti aufs Programm setzen – ein altes Lieblingsstück der Koblenzer. Auch Franz Xaver, der begeisterte Jäger und Militär, genießt den schmetternden Klang der beiden Hörner.

Ein kurzer Blick auf den Programmzettel verrät ihm, dass nun der vorzügliche Tenor Jakob Lindpaintner an der Reihe ist. Sein Bruder hält große Stücke auf diesen Sänger aus Bayern, der in den Hofkonzerten der letzten zehn Jahre mehr als 100 verschiedene Arien zur Aufführung gebracht hat. Für das Adventskonzert hat Lindpaintner ein besonders schönes Rondò des großen Sarti ausgesucht und zieht darin alle Register seines Könnens. Der frenetische Applaus ist ihm sicher, lieben die Franzosen doch kernige Tenorstimmen. Bevor man sich in der Pause eine Erfrischung gönnt, steht noch eine „Sinfonie“ des Mainzer Hofkapellmeisters Vincenzo Righini auf dem Programm – eher eine kompakte Opernouvertüre denn ein großes viersätziges Werk.

Haydn-Arie

„Hayden“ ist der nächste Name auf dem Programm – natürlich der große Joseph Haydn, der gerade in London die glänzendsten Erfolge feiert, wie man hört. Da er freilich nicht zu den Lieblingskomponisten des Kurfürsten zählt, werden seine Sinfonien in den Koblenzer Akademien nicht gespielt. Zumindest einige seiner Arien haben die Hofsänger in ihr Repertoire aufgenommen. „Ombra del caro bene“ aus der Pastoraloper La fedeltà premiata ist ein so hinreißend schönes Idyll, dass Katharina Kaltenborn darin den sanften Schimmer ihrer Stimme zur Geltung bringen kann. Auch der Koblenzer Soloflötist Hergen trägt zum Zauber dieser Arie bei. Selbst die kritischen Franzosen applaudieren, obwohl sie aus Paris Primadonnen wie Luigia Todi oder Elisabeth Mara gewöhnt sind. Dank des Unterrichts bei Maestro Sales und seiner Frau hat sich auch die kleine Kaltenborn zu einer Stimme von Format entwickelt.

Cimarosa-Sinfonie

Zum Schluss des langen Programms darf wieder die Hofkapelle ohne Sänger glänzen: erst in einer Serenade von Haydns Schüler Ignaz Pleyl, dann in einer Cimarosa-Sinfonie. „Etwas Heiteres zum Ausklang kann nicht schaden“, denkt sich der Kurfürst und genießt die Opernouvertüre von Cimarosa. Beschwingt treten die Koblenzerinnen und Koblenzer die Heimreise an – in die neu erbaute „Clemensstadt“, in die Altstadt oder mithilfe der „fliegenden Brücke“ hinüber nach Thal Ehrenbreitstein. Derweil ziehen sich der Kurfürst, sein Bruder und die prominentesten Franzosen zum Arbeitsessen zurück. Die große Politik duldet keinen Aufschub, auch nicht an einem Adventsabend in Koblenz.

Nachwort

Das Konzertprogramm vom 1. Dezember 1791 im Koblenzer Schloss ist sowohl in den Akten der Hofmusik im Landeshauptarchiv Koblenz als auch im Dresdner Nachlass des Prinzen Franz Xaver in einer besonders schönen Reinschrift überliefert. Es enthält exakt die hier beschriebenen Stücke mit den genannten Solist(inn)en.

Zum Hören:

Mozart: Sinfonie B-Dur, KV 319 (gedruckt Wien 1785)
Academy of Ancient Music, Christopher Hogwood
https://www.youtube.com/watch?v=9Gi5XqMpQHQ&list=RD9Gi5XqMpQHQ&index=1

Cimarosa: Se cerca, se dice (aus Olimpiade, Vicenza 1784)
Maite Beaumont, Les Talens Lyriques, Christophe Rousset
https://www.youtube.com/watch?v=NA4wwv8aIHI

Haydn: Ombra del caro bene (aus La fedeltà premiata)
Veronika Kincses, Franz Liszt Kammerorchester Budapest, Sandor Frygies
https://www.youtube.com/watch?v=46X4uLPba5g

Rosetti: Doppelkonzert F-Dur für zwei Hörner
Klaus Wallendorf, Sarah Willis, SWR Sinfonieorchester, Holger Schröter-Seeback
https://www.youtube.com/watch?v=oNxOBRi50jI