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Die Peter Cornelius Büste auf ihrem hohen Säulenschaft ist Spaziergänger(inne)n im Parkgelände des Mainzer Drususwalls ein wohlvertrauter Anblick.

Advent in Mainz 12.12.1824

Die Verleihung der Peter Cornelius Plakette des Landes an Barbara Harnischfeger ist der Anlass zum heutigen Adventskalenderblatt.

Peter Cornelius zum 200. Geburtstag

von Karl Böhmer

Dass der Mainzer Peter Cornelius am 24.12.1824 geboren wurde, ist dank der Aktivitäten des Cornelius-Jahrs 2024 beinahe schon zum Allgemeinwissen geworden. Der romantische Komponist und Dichter ist in der Landeshauptstadt von Heute so präsent wie kaum ein anderer Mainzer: vom Peter Cornelius Konservatorium über den Peter Cornelius Platz in der Neustadt, vom Denkmal mit Büste am Drususwall bis zur Erinnerungstafel auf dem Kästrich. Sie wurde an der Stelle jenes Hauses angebracht, in dem er am 17.10.1874 gestorben ist – unweit der barocken Bastion Alexander, auf der 40 Jahre nach seinem Tod die heutige Villa Musica errichtet wurde. Deshalb trifft es sich besonders gut, dass genau dort am heutigen Donnerstag die Peter Cornelius Plakette des Landes an die Freundeskreisvorsitzende der Stiftung Villa Musica verliehen wird, Barbara Harnischfeger. So schließen sich, was Cornelius betrifft, die Kreise. Wie aber sah es eigentlich aus im Mainz des Jahres 1824, als das Weihnachtskind Peter Cornelius zur Welt kam? Und was hat es mit seinen berühmten Weihnachtsliedern auf sich?

Mainz anno 1824: Abschied von Erzherzog Karl

Im Advent 1824 herrscht in der Bundesfestung Mainz reges Treiben: Der neue Gouverneur, Prinz Friedrich Wilhelm Karl von Preußen, der jüngste Bruder von König Friedrich Wilhelm III., achtet streng auf Zucht und Ordnung. Mit ihm gewinnen die Preußen in der Garnison die Oberhand. Nur widerwillig haben die Mainzer Anfang September den ersten Gouverneur der Bundesfestung ziehen lassen: Erzherzog Karl, Bezwinger Napoleons in der Schlacht bei Aspern und Bruder des österreichischen Kaisers Franz I. Neun Jahre lang, von 1815 bis 1824, hat er die Bundesfestung im österreichischen Stil geleitet: mit Weltläufigkeit und Nonchalance. Der geborene Florentiner (Muttersprache Italienisch) und verwegene Kriegsheld mit einer großen Liebe zur Musik ist bei den Mainzern beliebt, und auch er selbst hat gute Gründe, sich in der Stadt am Rhein wohlzufühlen, hat er hier doch seine große Liebe gefunden: Prinzessin Henriette von Nassau-Weilburg. Die Heirat zwischen dem 44-jährigen Habsburger und der 18-jährigen Nassauerin im September 1815 ist nicht nur wegen des Altersunterschieds außergewöhnlich. Sie wird als konfessionelle Mischehe geschlossen, denn Henriette ist und bleibt bis zu ihrem frühen Tod reformierten Bekenntnisses. Dennoch wird Kaiser Franz I. verfügen, dass sie zwischen all den katholischen Habsburgern, Wittelsbachern und Lothringern in der Kapuzinergruft zu Wien ihre letzte Ruhstätte findet. Anfang September 1824 erwartet Henriette ihren Mann Karl im Schloss Weilburg bei Baden, um das erste Weihnachtsfest jenseits von Festungsmauern zu feiern.

Derweil bereitet sich das Schauspielerpaar Carl und Friederike Cornelius in Mainz auf die Geburt des zweiten Kindes vor. Der Knabe kommt ausgerechnet am Heiligabend zur Welt – für Schauspieler ein spielfreier Termin. Nach damaligem Usus stehen selbst hochschwangere Frauen noch bis wenige Tage vor der Niederkunft auf der Bühne und gönnen sich auch fürs Wochenbett nur wenige Tage. Für ein Weihnachtskind wie den kleinen Peter Carl August kann man sich etwas mehr Zeit nehmen. Weihnachtsidylle im Hause Cornelius?

Weihnachtslieder vom Weihnachtskind

Wer an Heiligabend zur Welt kommt, dem wird das Weihnachtslieder-Schreiben gleichsam in die Wiege gelegt. Im Peter Cornelius Archiv der Mainzer Stadtbibliothek wird die autographe Handschrift seiner sechs Weihnachtslieder von 1856 verwahrt:

Weihnachten. Ein Liedercyclus. Seiner Schwester Elisabeth Schily gewidmet von Peter Cornelius, 25t Dec. 1856.

So steht es auf dem Liederheft zu lesen, 19 Seiten im Querformat mit der Signatur PCA Mus. ms. 12. Es enthält die sechs Lieder in ihrer Urfassung, die der 32-jährige Komponist seiner Schwester am ersten Feiertag des Jahres 1856 überreichte. Bereits drei Jahre später hat er sie auf Anraten von Franz Liszt überarbeitet und nochmals 1870, als er endlich einen Verleger fand, der den Zyklus als sein Opus 8 drucken wollte. Zwischen diesen Sechs Weihnachtsliedern Opus 8 und jenem 14 Jahre älteren Zyklus Weihnachten in der handschriftlichen Fassung gibt es deshalb erhebliche Abweichungen. So hat Cornelius im dritten Lied Die Könige das Choralzitat Wie schön leuchtet der Morgenstern erst in der zweiten Fassung angebracht. Die Titel und Textanfänge der sechs Lieder blieben weitgehend identisch. Sie zeichnen ein doppeltes Bild von Weihnachten – einerseits vom Heilsgeschehen zwischen Heiligabend und Mariä Lichtmess, andererseits von den Weihnachtsgebräuchen der Zeit. Im vierten Lied ist Cornelius ein Fehler unterlaufen: Der greise Simeon stimmte seinen Lobgesang auf den neugeborenen Heiland im Tempel von Jerusalem nicht schon bei der Beschneidung Jesu eine Woche nach der Geburt an (unser christlicher Neujahrstag), sondern erst bei der obligatorischen Reinigung Mariä 40 Tage nach der Niederkunft (für Christen Mariä Lichtmess oder Mariä Reinigung). In seinem poetischen Überschwang erwies sich der dichtende Komponist als wenig bibelfest:

1. Christbaum: „Wie schön geschmückt der festliche Raum“
2. Die Hirten: „Die Hirten wachen nachts im Feld“
3. Die Könige: „Drei Kön'ge wandern aus Morgenland“
4. Simeon: „Das Knäblein nach acht Tagen ward gen Jerusalem“
5. Christus der Kinderfreund: „Das zarte Knäblein ward ein Mann“
6. Christkind: „Der einst ein Kind auf Erden war“

Weihnachten 1856 in Thüringen

Entstanden sind diese sechs Lieder in der Adventszeit 1856 im thüringischen Bernhardshütte, wo der Komponist Abstand suchte von der erdrückenden Präsenz Franz Liszts in Weimar. Zu sich selbst kommen, auch in geistlicher Hinsicht, war für den gläubigen Katholiken aus Mainz eine Triebkraft beim Schreiben dieser Lieder – ihrer Texte wie ihrer Musik. „Sinnig und eigentümlich“ sollten sie sein, „ein ganz dankbares kleines Werk von ungezierter Frömmigkeit“. Am Ende durfte der „Singer-Song-Writer“ der deutschen Romantik, der stets Texte und Musik zusammen entwarf, befriedigt feststellen, wie „gewissenhaft und künstlerisch“ er dabei zu Werke gegangen war. Ganz nebenbei sind diese sechs Lieder aber auch ein Zeugnis dafür, wie man anno 1856 in Deutschland Weihnachten feierte. Im Eingangslied geht es um den Christbaum als Zentrum bürgerlicher Weihnachtskultur:

Wie schön geschmückt der festliche Raum!
  Die Lichter funkeln am Weihnachtsbaum!
  O fröhliche Zeit, o seliger Traum!
Die Mutter sitzt in der Kinder Kreis,
  Nun schweiget alles auf ihr Geheiß,
  Sie singet des Christkinds Lob und Preis,
Und rings vom Weihnachtsbaum erhellt,
  Ist schön in Bildern aufgestellt
  Des heiligen Buches Palmenwelt.
Die Kinder schauen der Bilder Pracht,
  Und haben wohl des Singens acht,
  Das tönt so süß in der Weihenacht.
O glücklicher Kreis im festlichen Raum,
  O goldene Lichter am Weihnachtsbaum,
  O fröhliche Zeit, o seliger Traum!

Nur nebenbei sei bemerkt, dass diese Idylle in Bernhardshütte durchaus trügerisch war. Das benachbarte Sonneberg stieg bis zum Ersten Weltkrieg zur „Werkstatt des Weihnachtsmannes“ auf: Rund zweieinhalbtausend Familienbetriebe produzierten in den Städtchen der Region 20 % der auf dem Weltmarkt gehandelten Spielwaren in Hand- und Heimarbeit. Die Arbeitsbedingungen waren unmenschlich, besonders für die Kinder, die mittun mussten, um die Eltern vor dem Hungertuch zu bewahren. Ob Peter Cornelius diese Schattenseite der Weihnachtsidylle schon 1856 bemerkt hat? 

Zum Hören:

Olaf Bär singt die sechs Weihnachtslieder Opus 8 von Peter Cornelius, Klavier: Helmut Deutsch (Aufnahme 1996)

https://www.youtube.com/watch?v=oYkxJIF2HXA