Adventsbrief 16.12.1838
Im Advent 1838 sandten Robert Schumann und Clara Wieck einander sehnsüchtige Briefe zu – zwischen Wien und Leipzig. Auch ein weihnachtliches Klavierstück lag dabei.
Adventspost zwischen Leipzig und Wien
von Karl Böhmer
Am 16. Dezember 1838 sandte Clara Wieck die folgenden, tröstlichen Zeilen an ihren Verlobten Robert Schumann in Wien:
Nun, lieber Robert, sey nur ja nicht traurig! Am Weihnachtsabend zwischen 6 und 7 Uhr, da denk an mich, da brennt der Christbaum und alles freut sich, doch ich – ich bin bei Dir im einsamen Stübchen, und bin die Glücklichste von allen.
In ihrer Innigkeit sind diese Sätze bezeichnend für die Adventsbriefe der beiden, in denen sie so viel von ihrem innersten Wesen offenbarten.
Schumanns „einsames Stübchen“ in Wien
In der Schön-Laternengasse Nr. 679 im ersten Stock hatte der 28 Jahre junge Robert Schumann ein „einsames Zimmer“ bezogen, wo er sich mehr schlecht als recht den großen Plänen seines Wiener Aufenthaltes widmete. Seit Oktober versuchte er, in der Hauptstadt der k. und k. Monarchie eine Musikzeitschrift zu gründen und auch als Komponist zu reüssieren. Beides ist ihm letztendlich nicht geglückt, weshalb auch der Wiener Advent für ihn nur eine schmerzliche Erinnerung blieb. Die Melancholie hing wie ein schwarzer Schatten über jenem Advent, wie er Clara in seinem Brief vom 18.12. gestand:
Mein Leben ist ziemlich eingezogen in letzter Zeit; ich arbeite an Vielem, habe manche Pläne vor, lese auch sehr viel. Wolle mich der Himmel so zufrieden erhalten. Nur wenn ich lange nichts von Dir erfahre, fangen die Kräfte mich zu verlassen an. Dann kömmt die Melancholie. Es ist, als hüllten u. packten sie mich in lauter schwarze Tücher u. Gewänder; ein unbeschreiblicher Zustand.
Auch Clara hatte mit dem Trennungsschmerz zu kämpfen. Als Thalberg an Weihnachten nach Leipzig kam, begann sie, an ihren pianistischen Fähigkeiten zu zweifeln:
Wenn ich so Einen wie Thalberg und Liszt gehört habe, da komme ich mir immer so nichtig vor, und da bin ich unzufrieden mit mir, daß ich weinen möcht! Hätt' ich nur genug Kraft und könnt' ich mich nur aufraffen, ich müßte viel mehr noch leisten, aber die Liebe, die spielt mir zu sehr mit, ich kann nun einmal nicht einzig und allein der Kunst leben, wie es der Vater verlangt, nur erst durch Dich kann ich die Kunst lieben, und daher kömmt es, daß ich oft zu viel Anderes denke – Du weißt schon, was ich sagen will.
Florestan und Eusebius
Robert hatte für die melancholische Seite seines Wesens einen eigenen Namen gefunden: Eusebius. Dieser zart fühlende, introvertierte Einzelgänger stand dem extrovertierten Draufgänger Florestan gegenüber. Die beiden Heteronyme seines romantisch gespaltenen Wesens spuken nicht nur durch seine Klavierwerke, sondern auch durch seine Briefe. Einem seiner Adventsbriefe aus Wien legte er ein eigenes, langes Gedicht an seine Braut bei. Darin sprach er sein gespaltenes Wesen in aller Deutlichkeit aus:
Florestan den Wilden,
Eusebius den Milden,
Thränen und Flammen
Nimm sie zusammen
In mir beide
Den Schmerz und die Freude.
Eifersüchtig wohl Florestan ist,
Doch voller Glauben Eusebius –
Wem giebst Du am liebsten den Hochzeitskuß?
Der Dir und sich am treusten ist.
Seiner Braut hat sich Schumann hier quasi in Doppelgestalt offeriert: als Draufgänger Florestan und als Einzelgänger Eusebius. Noch etliche Monate hatte Clara auszuhalten, bis sie ihren innig geliebten Robert wieder in die Arme schließen konnte. Erst Anfang April 1839 reiste er von Wien über Prag zurück in die Heimat – desillusioniert, was seine Wiener Projekte anbelangte, aber überglücklich, Clara wiederzusehen, und reich an neuen musikalischen Werken.
Arabeske und Weihnachtsstücklein für Clara
Drei größere Klavierwerke gliederten seinen Wiener Aufenthalt: die Humoreske Opus 20, die vier Nachtstücke Opus 23 und der Faschingsschwank aus Wien Opus 26. Alle drei sind 1840/41 im Wiener Verlag Mechetti erschienen wie auch die kleinen, feinen Klavierstücke im Salonstil, die Schumann in Wien schuf. Zwei dieser kleineren Stücke sind aufs Engste mit Advent und Weihnachten 1838 verbunden: die Arabeske Opus 18 und das erste der Bunten Stücke Opus 99.
Über die gerade vollendete Arabeske schrieb Robert im Dezember 1838 an Clara: „Sonst hab' ich fertig: Variationen, aber über kein Thema: Guirlande will ich das Opus nennen; es verschlingt sich Alles auf eigene Weise durcheinander.“ Vor der Drucklegung bei Mechetti änderte er den Titel in Arabeske – bis heute eines seiner populärsten lieblichen Klavierstücke, ein Spiegel seiner sehnsüchtigen Gedanken an Clara:
Ich könnte mich heute weich und traurig schreiben, ich sehne mich so heftig nach einem Wort von Dir. Du sprichst immer aus so klarer Seele; Deine Stimme hat etwas, wie ich es noch nie gehört.
An Weihnachten komponierte er für Clara „Drei Stücklein“, die er erst viele Jahre später – 1851 – im Rahmen der Bunten Blätter Opus 99 zum Druck befördern sollte. Das erste dieser „Stücklein“ versah er in Wien mit einer besonderen Überschrift: „An meine geliebte Braut zum heiligen Abend 1838“. Wenn es ein authentisches Weihnachtsstück von Schumann gibt, dann ist es dieses Lied ohne Worte in A-Dur, „nicht schnell, mit Innigkeit“ vorzutragen. Die Erklärung dazu findet sich in seinem Silvesterbrief vom 29. Dezember: Während ihm Clara als Weihnachtsgeschenke eine Brieftasche und „einen zuckernen Pantoffel“ nach Wien sandte, steckte er jenes A-Dur-Stücklein in seinen Weihnachtsbrief nach Leipzig. Die beiden Schreiben überkreuzten sich. Dazu Schumann:
Auch beschert hast Du mir, Du liebes Christkind Du … Es ist mir ein inniges Vergnügen, wenn wir uns in unsern Gedanken begegnen, wie das so oft. So wolltest Du einen „kleinen Funken“ haben neuster Composition von mir, während der schon auf dem Wege zu Dir war. Ich denke mir, solche, wenn auch leblose Sachen unterhalten sich, wenn sie sich auf der Post begegnen: „guten Tag, lieber Pantoffel“ hat da mein Brief gesagt, und Deiner wieder „Du kommst gerade erwünscht; sie liebt A Dur“, und dann fahren sie rasch weiter.
Weihnachten in Leipzig und Wien
Für das kleine Klavierstück in A-Dur bedankte sich Clara am zweiten Weihnachtsfeiertag in dankbaren Zeilen, doch wurde ihr die Trennung gerade am Fest doppelt schmerzlich bewusst:
Schönsten Dank, mein Robert, für Dein schönes Geschenk – es war das Schönste, was Du mir finden konntest, denn es kam aus Deinem Herzen … Dein Brief war so lieb, und Du schriebst mir von Deiner jetzigen Heiterkeit, doch Robert, sieh mir einmal recht gerade in's Auge, ist das wirklich wahr? schriebst Du das nicht blos, um mich heiter zu stimmen? Das Fest ging sehr still bei uns vorüber, doch in mir tobte es und das Herz wollte mir springen. Morgen ist es 3 Monate, daß Du abreißtest … ach, das war ein schrecklicher Tag! solchen Schmerz hatte ich nie gefühlt.
Wie gut Clara ihren Verlobten kannte, offenbart die Schilderung seines Wiener Weihnachtsfestes. Obwohl er die Christnacht in der Gesellschaft eines jungen Mannes verbrachte, der zum Begleiter seiner Wiener Wochen wurde, stürzte ihn die Christmette im Stephansdom in melancholische Betrachtungen:
Den heiligen Abend war ich mit dem jungen Menschen, von dem ich Dir neulich schrieb, aufgeblieben, um in die Metten um Mitternacht in St. Stephan zu gehen; es war mir Alles wie im Traum, ich dachte viel an Dich, ich glaube ich habe gebetet. Sonst geht es hier ziemlich still zu. Von Musik wenig Bedeutendes. Ich verlebe oft ganze Tage am Clavier, bin aber unglücklich nichts fertig zu bringen … Ich wollte dem Stück, das ich Dir schickte, noch elf dazu paßende anhängen und bin nur bis in das dritte gekommen seit acht Tagen, wo ich sonst sie zu Dutzenden in wenig Stunden mache. Es macht wohl, ich bin noch nicht recht heimisch und sicher hier; es spiegelt sich nun einmal alles in meiner Musik.
Zum Hören:
Robert Schumann:
Bunte Blätter, op. 99 (Nr. 1 A-Dur ist das Weihnachtsstück „An meine geliebte Braut zum heiligen Abend 1838“)
Youri Egorov
https://www.youtube.com/watch?v=R3aQjal1pSo
Svjatoslav Richter, Neapel 1969
https://www.youtube.com/watch?v=o29VnKK7xoM
Arabeske, op. 18
Maurizio Pollini
https://www.youtube.com/watch?v=Bq2Cmki7A5I