Adventskalender 20.12.2021
Dresden am 20. Dezember 1849: Im Hôtel de Saxe bezaubern Clara Schumann und François Schubert auf seiner Guarneri-Geige das Publikum mit ihrer Advents-Soiree.
Weihnachten in Dresden, 1849
Wer heutzutage im ersten Stock des Hôtel de Saxe am Dresdner Neumarkt sitzt und auf die Frauenkirche blickt, findet sich im Frühstücksraum eines Steigenberger-Hotels wieder – sicher eines der schönsten Hotelrestaurants im Elbflorenz. Mitte des 19. Jahrhunderts befand sich hier ein veritabler Konzertsaal, der für die kulturellen Genüsse reserviert war. Am Flügel dieses Saales bezauberte Clara Schumann mit ihrer Tastenkunst die Dresdner kurz vor Weihnachten 1849.
Adventssoiree im „Hôtel de Saxe“
Am 20. Dezember 1849 gab die berühmte Pianistin aus Leipzig mit dem Dresdner Konzertmeister François Schubert im Hôtel de Saxe ein denkwürdiges Adventskonzert. Auf dem Programm standen die „Teufelstrillersonate“ von Tartini und die c-Moll-Violinsonate von Beethoven. Im großen B-Dur-Klaviertrio von Franz Schubert gesellte sich Friedrich Schubert hinzu, der Cello spielende Bruder des Geigers. Das träumerische Andante con moto vereinte alle drei Spieler im seligen Gesang. Lieder von Schumann, Schubert und Mendelssohn rundeten den stimmungsvollen Abend ab.
Es war die dritte von insgesamt sechs Soireen, die Clara Schumann mit den Gebrüdern Schubert in jenem Winter im Hôtel de Saxe veranstaltete – drei vor Weihnachten, drei danach. Der Bogen der Programme spannte sich von Beethovens „Waldsteinsonate“ über die „Kreutzersonate“ bis hin zu Mozarts g-Moll-Klavierquartett und Schumanns Klavierquintett – eine der reichsten und anspruchsvollsten Kammermusikserien in der Musikgeschichte Dresdens. Denn auch Klaviertrios von Beethoven und Mendelssohn, Streichquintette von Onslow und Spohr, Klavierstücke von Bach und Chopin und immer wieder Lieder wurden meisterhaft zu Gehör gebracht. Als Sonderkonzert erklang zwischen all diesen Herrlichkeiten ein großes Chorwerk mit Orchester: Robert Schumann dirigierte am 12. Januar 1850 „für milde Zwecke“ sein Oratorium Das Paradies und die Peri. Noch konnten er und seine Frau nicht ahnen, dass es ihre Dresdner Abschiedssaison sein würde. Im September zogen sie mit ihren Kindern von der Elbe an den Rhein, wo Robert Schumann seine Stelle als Musikdirektor der Stadt Düsseldorf antrat.
Heiligabend unterm Christbaum
An Weihnachten 1849 ließen es die Eltern Schumann an nichts fehlen. Das Haushaltsbuch gibt genaue Auskunft über die Weihnachtsausgaben: Ein Dresdner Christstollen zu einem Taler, Lebkuchen zu 25 Groschen, drei Apfelsinen zu 9 Groschen. Für weihnachtliche Speisen war gesorgt. Seiner geliebten Clara machte Schumann ein musikalisches Geschenk in Form der Romanzen für Oboe und Klavier, op. 94. Außerdem bekam sie sechs Stück Seife für 25 Groschen geschenkt und ein nicht näher bezeichnetes großzügiges Geschenk, das Schumann bei den Kaufleuten Müggenburg & Barteldes in der Rosmaringasse für stolze 17 Taler gekauft hatte. Was die Kinder bei der Bescherung bekamen, ist im Haushaltsbuch leider nicht vermerkt. Höchst vergnügt versammelte sich die Familie mit drei Dresdner Freunden unterm Christbaum: Claras Schülerin Emilie Steffens und die Schriftstellerin Marie von Lindemann durften jeweils einen Kalender auspacken, der Jurist Felix Günz ein Buch. Man kann sich leicht vorstellen, wie in geselliger Runde Weihnachtslieder gesungen wurden, begleitet von Clara am Klavier.
Weihnachtskonzert mit Guarneri
Schon am 27. Dezember gewann wieder die Kammermusik die Oberhand. Die Gebrüder Schubert statteten ihren Weihnachtsbesuch ab und machten sich gleich ans Musizieren. Der damals 41-jährige Dresdner Geiger Franz Schubert, genannt „François“, war seit 1847 zweiter Konzertmeister der Hofkapelle, in der auch sein Bruder Friedrich Cello spielte. Seit 1848 veranstalteten sie zusammen mit Clara Schumann die viel beachteten Kammermusik-Soiréen im Hôtel de Saxe. Das Weihnachtskonzert im Hause Schumann hatte freilich mehr privaten Charakter. Neben dem d-Moll-Trio des Hausherrn wurden seine neuen Oboen-Romanzen aufgeführt, gespielt von François Schubert auf der Violine. Höchst wahrscheinlich handelte es sich dabei um jene Meistergeige von Pietro Guarneri aus dem Jahre 1702, die als „Ex Schubert“ berühmt wurde, als sie sein Sohn 1902 verkaufte. Heutzutage gehört dieses wertvolle Instrument zur Landessammlung der Stiftung Rheinland-Pfalz für Kultur und wird seit Jahren an hochbegabte Nachwuchs–Geigerinnen und -Geiger der Villa Musica ausgeliehen. Ab Januar 2022 hat die Stipendiatin Laura Handler das Vergnügen, die legendäre Guarneri für mindestens zwei Jahre zu spielen – auch dank der Unterstützung durch die Freunde der Villa Musica. Wenn dieses Instrument reden könnte, würde es uns wunderbare Geschichten erzählen vom Geigenspiel des François Schubert, von den Klavierkünsten der Clara Schumann und vom Dresdner Weihnachten des Jahres 1849.
Zum Hören und Schauen:
Schubert: Andante con moto aus dem Klaviertrio B-Dur, op. 99 mit Yehudi Menuhin, Maurice Gendron und Hepzibah Menuhin
https://www.youtube.com/watch?v=GBuHBQaYZoU
Schumann: Zwei der Oboenromanzen Opus 94, von Damit Kim auf der Violine gespielt, Lorena Tecu begleitet am Klavier im Konzertsaal des New England Conservatory
https://www.youtube.com/watch?v=GT6JHbmlpSE
Schumann: Das Paradies und die Peri, Vorspiel und erste Szene, Florence Quivar (Alt), Staatskapelle Dresden, Leitung: Giuseppe Sinopoli
https://www.youtube.com/watch?v=IgzDvue0LMs
Tartini: Violinsonate g-Moll „Teufelstrillersonate“ (Kreisler-Fassung mit Streichorchester), Ray Chen, Amsterdam Sinfonietta, Concertgebouw Amsterdam 2019
https://www.youtube.com/watch?v=ZkX8YyA4Wp4
François Schubert & Friedrich August Kummer: Duo Nr. 1 D-Dur für Violine und Violoncello mit Friedemann Eichhorn und Alexander Hülshoff