Advent in Wien 8.12.1781
Am 8. Dezember 1781 eilte Mozart zum Stephansdom, um den Kaiser bei der Festmesse zu sehen. Derweil waren seine neuen Violinsonaten und russische Gäste in Wien das Tagesgespräch.
Mozart im Stephansdom und die russischen Gäste des Kaisers
von Karl Böhmer
Am 8. Dezember 1781, dem Samstag vor dem zweiten Advent, verfügte sich Kaiser Joseph II. im prunkvollsten Hofstaat in den Stephansdom, um eine Pflicht zu erfüllen, die sein Ururgroßvater eingeführt hatte: den „Immaculata-Eid“ der Universität vor dem Hochamt zum Fest der Unbefleckten Empfängnis. Kaiser Ferdinand III. hatte 1647 der Wiener Universität „empfohlen“, fortan nur noch solche Akademiker zu promovieren oder als Professoren anzunehmen, die zuvor den Glaubenseid auf die unbefleckt empfangene Gottesmutter abgelegt hatten, die Schutzpatronin des Erzherzogtums Österreich. Seitdem leisteten der Rektor und die Dekane alljährlich vor dem Hochamt zum 8. Dezember im Stephansdom diesen Schwur in die Hände des Universitätskanzlers – in Anwesenheit des regierenden Erzherzogs von Österreich. Nach dem Tod seiner Mutter musste Joseph II. höchstselbst der barocken Zeremonie beiwohnen. „Unter einem herrlich errichteten Common“ harrte er aus, bis sich die Kandidaten jenes Tages ihrer Pflicht entledigt hatten. „Sodann wurde das feyerliche Hochamt von Sr. Hochfürstlichen Eminenz Herrn Cardinal Erzbischof abgesungen, nach dessen Endigung Se. Majestät Sich wieder in obiger Pracht nach der Hofburg zurück erhoben.“ Wie der Kaiser inwendig über derlei akademischen Pomp in der Kirche dachte, wurde im Folgejahr deutlich, als er den „Immaculata-Eid“ mit einem Federstrich abschaffte. Offenbar war er der Meinung, dass auch jüdische, lutherische oder reformierte Professoren der Wiener Universität gut anstehen würden.
Mozart im Stephansdom
Unter den Hunderten von Schaulustigen, die sich an jenem Festtag auf dem Graben versammelten und anschließend in den Stephansdom strömten, dürfte sich auch Wolfgang Amadé Mozart befunden haben. Der Neuwiener war kein Feind des Kirchenprunks wie der Kaiser, sondern aus Salzburg prachtvolle Messfeiern gewöhnt. Außerdem wollte er sich die Anfahrt Seiner Majestät „in dero kostbarem neu verfertigtem Leibwagen“ sicher nicht entgehen lassen – samt der „in Gala gekleideten königl. ungarischen adelichen Leibgarde, und eines Commando Grenadier“. Auf das klingende Spiel der „türkischen Musik“ zur kaiserlichen Kutschfahrt folgte die solenne Festmesse im Stephansdom, die von einem Wiener Hofkomponisten stammte. Im Geiste dürfte sich Mozart ausgemalt haben, wie wohl eine seiner Messen in dieser Kirche klingen mochte. Jahre später verfertigte er wahrscheinlich für den Stephansdom sein Kyrie in d-Moll, KV 341.
Violinsonaten für russische Gäste
Den Kopf voller Musik kehrte Mozart an jenem Festtag heim, schlug die Wiener Zeitung auf und durfte mit Befriedigung feststellen, dass der Verleger Artaria endlich die Annonce für seine neuen Violinsonaten abgedruckt hatte, die Sonaten KV 376 bis 380 nebst der Mannheimer Sonate KV 296:
In der Kunsthandlung Artaria und Komp. auf dem Kohlmarkt, der Michaelerkirche gegenüber sind neu aufgelegt und zu haben: 6 Sonaten für das Klavier mit Begleitung einer Violine von dem genugsam bekannt und berühmten Herrn Wolfgang Amadee Mozart, op. 2. 5 fl.
Es war für Mozart von größter Bedeutung, mit diesem Sonaten-Zyklus noch vor Weihnachten herauszukommen, denn ein Paar überaus musikalischer Gäste aus Russland hielt damals die Wiener in Atem: Großfürst Pavel Petrovich, der Sohn und Nachfolger von Zarin Katharina der Großen, und seine hübsche württembergische Gemahlin. Offiziell reisten sie unter dem Inkognito eines „Grafen und Gräfin von Norden“, um das Zeremoniell eines Staatsbesuchs zu umgehen. Inoffiziell aber wurden ihnen alle Ehren zu teil, wozu immer wieder die Musik beitrug. Fast jeden Abend fand sich das russische Paar im Hofburgtheater ein: am 5. Dezember zu Glucks Singspiel Die Pilgrimme von Mekka, am 8. Dezember zu Shakespeares König Lear. Auch andere Wiener Kuriositäten wie die erste Schreibmaschine der Monarchie wurden den hohen Besuchern vorgeführt.
Sich bei diesen Gästen mit neuen Sonaten für Klavier und Violine ins Gespräch zu bringen, war für Mozart von größtem Nutzen, zumal er an Heiligabend die Ehre hatte, vor der Großfürstin in der Hofburg sein berühmtes Klavierwettspiel mit Muzio Clementi zu absolvieren. Für die Gäste aus Russland blieb Mozart vorerst der berühmte Pianist der kaiserlichen Hauptstadt. Erst nach ihrer Rückkehr aus Italien neun Monate später hatten sie die Gelegenheit, Die Entführung aus dem Serail im Hofburgtheater zu sehen und Mozart auch als Opernkomponisten kennenzulernen.
Spuren des musikalischen Genies
Auch außerhalb von Wien gelang Mozart mit seinen Klavier-Violin-Sonaten von 1781 ein ganz unerwarteter Coup. In Bonn setzte sich ein junger Pianist und Hofmusiker an seinen Schreibtisch und kopierte die große G-Dur-Sonate in einem eigenen Klavierquartett: Louis van Beethoven. Allerorten spielte man Mozarts „Opus 2“ als die neueste Errungenschaft der Kammermusik – ganz so, wie man bald auch Haydns Streichquartette Opus 33 feiern sollte. Es war der doppelte Beginn der Wiener Klassik in der Kammermusik. Selbst Norddeutschland, das sich sonst so gerne vor der neuen Wiener Musik verschanzte, streckte vor Mozarts Sonaten die Waffen. Im April 1782 durfte er sich über eine glänzende Rezension in Cramers Magazin der Musik in Hamburg freuen:
Sie sind die einzigen in ihrer Art. Reich an neuen Gedanken und Spuren des musikalischen Genies des Verfassers. Sehr brillant, und dem Instrumente angemessen. Dabey ist das Accompagnement der Violine mit der Clavierpartie so künstlich verbunden, daß beide Instrumente in beständiger Aufmerksamkeit unterhalten werden; so daß diese Sonaten einen eben so fertigen Violin- als Clavier-Spieler erfordern.
Was der Hamburger Kritiker wie eine Warnung an all jene aussprach, die keine „fertigen Violinspieler“ waren, machte Mozarts Sonaten zu einer musikalischen Sensation. Mit ihnen wurde die Violinsonate im modernen Sinne geboren, ein Kammermusikstück, in dem Klavier und Violine gleichberechtigt dialogisieren. Die Wiener Violinsonaten vom Advent 1781 waren Mozarts erster großer Erfolg – auch weit über die kaiserliche Hauptstadt hinaus.
Ein Kastratenfreund aus Salzburg in Wien
Die Aussicht darauf, sich vor den russischen Herrschaften zu produzieren, lockte im Advent 1781 auch einen Hausfreund der Familie Mozart nach Wien: den Soprankastraten und Salzburger Hofsänger Francesco Ceccarelli. Wolfgang wusste zwar, dass sein Vater und seine Schwester für den jungen Sänger aus Foligno große Sympathie hegten, weil Cecarelli seit 1778 regelmäßig mit den beiden kammermusikalische Arien-Arrangements aufführte, sich an Billard, Kartenspiel und Bölzelschießen beteiligte. Doch für den Neuwiener Mozart war dies noch lange kein Grund, Ceccarelli bei seinem spontanen Besuch Obdach zu gewähren. In aller Entschiedenheit verwahrte er sich gegen diesen Vorschlag des Vaters in seinem Brief vom 17. November 1781:
wegen dem Ceccarelli kan es ohnmöglich seÿn, und wen es nur auf eine einzige Nacht wäre; den, ich habe nur ein einziges zimer, welches nicht groß, und schon ganz durch kasten, tisch und klavier, so voll ist, daß ich nicht wüsste wo man noch ein Bett hinstellen könte. – und in einem Bett schlafen – mag ich mit niemand, als mit meiner zukünftigen frau. – aber um ein nach möglichkeit wohlfeiles logis will ich ihm umsehen; wen ich nur gewis weis wan er kömt.
Eigentlich hätte Leopold Mozart beim Lesen dieses Briefes schon hellhörig werden müssen. Was schrieb sein Sohn da von seiner „zukünftigen Frau“? Und warum kam ihm Ceccatelli eigentlich so ungelegen? Ohne es zu ahnen, platzte der Kastrat aus Salzburg mitten in die Romanze zwischen Mozart und Constanze Weber hinein, die tatsächlich im Juli 1782 seine Ehefrau wurde. Doch noch war die Bombe dieser „Weberischen Liaison“ nicht geplatzt, und der Vater ahnte höchstens, worum es hier eigentlich ging. Als Ceccarelli dann acht Tage vor dem ersten Advent tatsächlich eintraf, verwahrte sich Mozart auch in anderer Hinsicht gegen die Ansprüche des Sängers:
Ceccarelli wird ohne zweifel eine accademie mit mir geben wollen. allein da wird nichts daraus werden, den ich bin kein liebhaber vom theilen. – alles was ich thun kan ist das, daß ich |: da ich in der fasten eine accademie geben werde :| ihn darin singen lasse, und dan – in der seinigen umsonst spielle!
So geschah es dann auch in der Fastenzeit 1782, als beide Musiker in Wien Akademien veranstalteten. Zuvor aber hatte Ceccarelli die Ehre, neben der berühmten Primadonna Luísa Todi beim Neujahrsempfang des Kaisers in der Hofburg für die russischen Gäste zu singen – ein Staatsakt der ersten Ordnung. Damals bestand das Wiener Neujahrskonzert noch nicht aus Walzern, sondern aus Arien. Ob Ceccarelli an den Feiertagen auch ein Mozartsches Sopransolo in den Wiener Kirchen sang, ist leider nicht bekannt. Das berühmte Laudate Dominum aus der Bekennervesper KV 339, das Mozart 1780 für Ceccarelli komponiert hatte, hätte sicher auch in eine Wiener Weihnachtsvesper wunderbar hineingepasst.
Zum Hören:
Laudate Dominum aus KV 339, Patricia Janečková, Janáčkův Komorní Orchestr, Jakub Černohorský
https://www.youtube.com/watch?v=ljvTwbxrylc
Kyrie d-Moll, KV 341, Engelbrekts Kammarkör, Drottningholms Barockensemble, Bengt Eklund (Stockholm 2015)
https://www.youtube.com/watch?v=Myu0QCTDJU4
Violinsonate G-Dur KV 379, Isabelle Faust, Alexander Melnikow
https://www.youtube.com/watch?v=7vjY1TW28q8