Advent in Caserta, 11.12.1785
Am 11. Dezember 1785 feierte Königin Maria Carolina von Neapel mit ihren Töchtern den dritten Advent im Schloss von Caserta – mit Gottesdienst, Theater und Musik.
Adventssonntag einer Königin
Am dritten Adventssonntag 1785, dem 11. Dezember, verbrachte Königin Maria Carolina von Neapel einen ruhigen Tag mit ihren Kindern im Schloss von Caserta. Die Tochter von Kaiserin Maria Theresia war mit dem neapolitanischen König Ferdinand IV. verheiratet und hatte neben der Repräsentation vor allem eine Aufgabe: den Nachwuchs der Bourbonen-Dynastie zu sichern und zu pflegen. Für eine Herrscherin ihrer Epoche nahm sie sich erstaunlich viel Zeit für ihre Kinder, um mit ihnen zu spielen, Theaterstücke einzustudieren und zu musizieren. Wie alle Kinder von Maria Theresia war sie selbst am Wiener Kaiserhof zur vorzüglichen Cembalistin ausgebildet worden und verstand sich auf alle Feinheiten des Gesangs. Unter diesem Niveau sollten auch ihre Töchter nicht musizieren, also musste geübt und geprobt werden – täglich! Bald schon waren die ältesten Töchter zu Musik-Kennerinnen herangereift. Die Königin liebte es, mit ihnen die Seria-Opern im riesigen Teatro San Carlo in Neapel zu besuchen. Musste sie dagegen mit ihrem Mann zur Opera buffa in eines der drei kleineren neapolitanischen Opernhäuser, langweilte sie sich für gewöhnlich „zu Tode“. All dies ist ihrem Tagebuch zu entnehmen, das für die Jahre 1781-1785 fast vollständig erhalten ist und von der amerikanischen Forscherin Cinzia Recca in englischer Übersetzung publiziert wurde. Dort kann man nachlesen, wie die Königin ihre Adventszeit verbrachte und welch große Rolle dabei die Opera seria am Teatro San Carlo spielte. Handelte es sich um ein Werk ihrer Lieblingskomponisten Francesco Bianchi oder Giovanni Paisiello, ließ es sich Maria Carolina nicht nehmen, die Oper gleich mehrfach zu besuchen – bis zu einem dutzend Mal! Im Winter 1785/86 waren die wichtigsten Novitäten Paisiellos Olimpiade und Enea e Lavinia von Guglielmi.
Advent in Caserta
Den Advent verbrachte die Königsfamilie für gewöhnlich nicht in Neapel, sondern in Caserta, dem riesigen Sommerschloss zwei Kutschenstunden von der Hauptstadt entfernt. Dort verfügte man über jeden Komfort einschließlich eines heute noch erhaltenen Theaters, auf dem meist französische Komödien oder italienische Buffa-Opern aufgeführt wurden. Nur gelegentlich wurden dort auch große Opern aus Neapel nachgespielt. Just anno 1785 applaudierte Maria Carolina in Caserta der jungen Primadonna Maria Marchetti Fantozzi (Mozarts späterer Vitellia im Titus) in der gefürchteten Titelpartie von Glucks Alceste.
Am dritten Advent 1785 ging es sehr viel ruhiger zu: Die Prinzessinnen probten eine französische Komödie mit Ballett. Bevor die Mutter dieser Probe beiwohnte, musste sie das Defilee der täglichen Pflichten absolvieren: Nach der anstrengenden Zeremonie des Ankleidens und Frisierens standen ein kleines Frühstück und natürlich die Heilige Messe auf dem Tagesplan. Das Mittagessen nahmen Mutter und Kinder zusammen ein, dann wurde gespielt, gelesen und musiziert. Am Rande führte Maria Carolina ein Gespräch mit dem leitenden Minister Richecourt, den sie zur Probe ihrer Töchter mitnahm. So wie sie einst selbst als junge Erzherzogin am Wiener Kaiserhof singend, tanzend und spielend vor ihren Eltern auf der Bühne gestanden hatte, so setzten ihre eigenen Töchter diese Tradition nun fort. Nach dem gemeinsamen Abendessen ging die Königin ungewöhnlich früh zu Bett, denn sie war im siebten Monat schwanger.
Große Oper in Neapel
Von ihrem Mann ist nur ganz am Ende des Tagebucheintrags die Rede: „Der König fuhr nach Fusaro und von dort ins Teatro San Carlo, um die Oper zu sehen.“ Ferdinand IV. kombinierte einen seiner zahlreichen Jagdausflüge mit dem Besuch der neuen Opera seria: Enea e Lavinia von Pietro Alessandro Guglielmi. Sie hatte schon am Karlstag, dem 4. November, ihre Premiere gefeiert, doch noch hatten König und Königin nicht die Zeit gefunden, sie anzuschauen. Aus Neapel waren lobende Stimmen über das neue Werk an den Hof gedrungen, besonders über ein ungewöhnlich schönes Terzett. Wie gern hätte die Königin ihren Mann begleitet, doch musste sie wegen der Schwangerschaft das Haus hüten. So erklärt sich, dass sie eine der schönsten Seria-Opern jener Epoche aus Neapel überhaupt nicht gesehen und gehört hat.
Heiligabend bei Hofe
Spuren von adventlicher Musik sucht man im Tagebuch der Königin vergeblich: Wie allen Zeitgenossen wäre es ihr absurd erschienen, schon zwei Wochen vor Weihnachten von „Vorweihnachtsstimmung“ zu sprechen. Im November und Dezember nutzte der Hochadel Italiens das milde Wetter zur üblichen villeggiatura, dem herbstlichen Landaufenthalt. Kirchlich war der Advent ohnehin eine Fasten- und Bußzeit. Alles konzentrierte sich auf Heiligabend als das große Tor zur Weihnachtsfreude. Der Tagebuch-Eintrag der Königin lässt die Bedeutung des Tages und besonders der Heiligen Nacht deutlich erkennen: „Am Samstag, 24. Dezember, stand ich um 6 Uhr auf, ging in die Kirche, verrichtete meine Devotion, nahm danach das Frühstück. Ich frisierte mich, kleidete mich an, sah meine Kinder und hörte danach noch einmal die Heilige Messe.“ Eine Sitzung des Staatsrats mit dem König, Gespräche, Lektüre und eine Ordensverleihung verkürzten das Warten aufs Christkind. Endlich fand sich die Familie um 22:30 Uhr zu einem Hauskonzert zusammen, bei dem die älteste Tochter Teresa (die zukünftige Kaiserin Marie Therèse, die zweite Gemahlin von Franz II.) „sehr gut Cembalo spielte“, wie ihre Mutter fand. „Um Mitternacht gingen wir in die Kapelle, die sehr schön erleuchtet war. Danach festliches Abendessen, bei dem alles aufgetragen wurde, was Caserta zu bieten hat. Die Kinder alle glücklich.“ Man darf davon ausgehen, dass bei der Christmette und vielleicht auch schon beim Konzert davor neapolitanische Weihnachtsmusik erklungen ist, Musik der Zampognari im Original oder in einer kunstvollen neapolitanischen Bearbeitung. Die Bescherung fand beim Festmahl statt. Selbst ein so zeremonieller Rahmen wie ein Königshof des Anciem Régime ließ Kinderträume an Weihnachten wahr werden – und vielleicht auch die Träume einer Königin.
Musikbeispiele:
Pietro Alessandro Guglielmi: Enea e Lavinia, Sinfonia (November 1785) – Orchestra da Camera Pietro Guglielmi, Paolo Baiancalana
https://www.youtube.com/watch?v=Tx4Ywicy1JE
Giovanni Paisiello: „Se cerca, se dice“ aus Olimpiade (Januar 1786) – Mónika González, Sopran; Savaria Baroque Orchester, Fabio Pirona
https://www.youtube.com/watch?v=ykLmh43alVM
Das Quartetto Petra mit Fragmenten von Weihnachtsmusik aus den Abruzzen, gespielt auf Dudelsäcken und Schalmeien (Zampogne e Ciaramelle)