Clara Schumann 1878, Pastell von Franz von Lenbach.

Clara Schumann, 12.12.1873

Im Advent 1873 war Clara Schumann auf Konzertreise durch Deutschland. Sie spielte und hörte vor allem Werke ihres Freundes Brahms, der sich zu Weihnachten mit einem neuen Lied bedankte.

Advent 1873 in Berlin

Am 12. Dezember 1873, zwei Tage vor dem dritten Advent, schrieb Clara Schumann einen Brief an Johannes Brahms, in dem sie ihrem Ärger über das fade Musikleben der jungen Reichshauptstadt Berlin Luft machte: „Hier hört man außer Joachims Quartett nichts!!! Das Theater ist ganz mittelmäßig, die Singakademie zopfig, die Sinfonien über die Begriffe langweilig undsoweiter.“ Noch keine Spur vom Glanz des Berliner Musiklebens in späteren Jahrzehnten. Diese Ödnis musste Clara umso schmerzlicher empfinden, als sie zuvor in München glückliche Herbstwochen verbracht hatte und auch bei Abstechern nach Hamburg und Leipzig in Musik schwelgen konnte. In Leipzig spielte sie das Erste Klavierkonzert von Brahms im Gewandhaus, bevor sie Mitte Dezember notgedrungen nach Berlin weiterreiste, um mit ihren Kindern Weihnachten zu feiern.

Brahms-Quartette in München

Wieviel mehr schwärmte Clara vom reichen Musikleben Münchens! Ihr Freund Hermann Levi, seit dem Vorjahr Generalmusikdirektor der bayerischen Hauptstadt und Hofkapellmeister König Ludwigs II., setzte die einzige Oper von Robert Schumann auf den Spielplan, die Genoveva. Unmittelbar davor dirigierte er Schumanns Manfred, die große, melodramatische Vertonung des Gedichts von Lord Byron. Clara wohnte als glückliche, aber kritische Zuhörerin der Aufführung bei. Als sie ihrem Freund Brahms davon brieflich Bericht erstattete, erwähnte sie eher en passant eine weitere Musiksensation in München: die ersten (nicht öffentlichen) Aufführungen seiner beiden Streichquartette. Brahms hatte seine Quartette in c-Moll und a-Moll, op. 51 Nr. 1 und 2 im Sommer im bayerischen Tutzing vollendet. Wie üblich wollte er sie vor der Drucklegung befreundeten Musikern zum Durchspielen anbieten. Da lag es nahe, an München zu denken, wo im Haus seines Freundes Hermann Levi eines der besten deutschen Streichquartette verkehrte: das Walter Quartett, angeführt von dem damals 39-jährigen Geiger Joseph Walter. Schon im September spielten die vier Münchner die neuen Brahms-Quartette bei Levi durch. Im November wurde diese Privataufführung eigens für Clara Schumann wiederholt, die den neuen Quartetten selig lauschte. Noch hatten sich Levi und Brahms nicht über die Wagnersche Musik entzweit. Noch schwärmte auch der große jüdische Dirigent für die Musik des Hamburgers. 

Clara schrieb entzückt über ihre Zeit in München an Brahms: „In München habe ich schöne Zeit verlebt, hohe Genüsse gehabt, von denen ich den ganzen Winter zehren werde, denn in Berlin ist alles mittelmäßig, außer was von Joachim kommt. Sogar schön Quartett-Spiel habe ich in München gehört, Deine zwei Quartette. Du kannst Dir denken, mit welchem Interesse ich sie gehört und genossen habe.“ (Clara an Brahms, Hamburg 24. November 1873). Joseph Walter, der Primarius des Quartetts, starb schon zwei Jahre später, im Sommer 1875. Sein Bruder Benno übernahm daraufhin die Leitung des Walter Quartetts, das seinen Ausnahmerang unter den deutschen Streichquartetten behaupten konnte. 

Brahms-Konzert in Leipzig

Während ihrer gesamten Herbstreise 1873 wurde Clara Schumann von Werken ihres Freundes Brahms begleitet. Nach den brandneuen Streichquartetten in München wagte sie sich im Leipziger Gewandhaus an das alte d-Moll-Klavierkonzert – jenes Stück, dessen Uraufführung an gleicher Stelle 14 Jahre zuvor in einem Fiasko geendet war. Nun gelang es Clara, ihren Freund Brahms zu rehabilitieren und zumindest die Kenner in der Messestadt von seiner Musik zu überzeugen: „Genußreiche Stunden hatte ich durch Dein Konzert gehabt, ich kann sagen glückliche. Es ist gar zu schön und ist mir in Leipzig sehr gelungen. Das Orchester war gut, aber nicht frei, das konnte auch nicht sein, bei einem ihnen so fremde und schweren Stücke … das Publikum verhielt sich respektvoll, sie riefen mich. Die Musiker aber und Musikfreunde, deren eine Masse waren, kamen alle und dankten mir, daß ich ihnen das herrliche Werk vorgeführt, und das machte mir denn doch große Freude.“

Brahmslied zwischen Berlin und Wien

Als Clara zwei Tage vor Heiligabend ihre Weihnachtsgrüße an Brahms niederschrieb, blickte sie ein wenig neidisch vom öden Berlin ins festliche Wien: „Liebster Johannes, heute gibt es nur einen Weihnachtsgruß, der Dich heiter und wohlgemut treffen möchte. Du wirst, wie immer, von Aufmerksamkeiten überschüttet werden! … Die Kinder grüßen, freuen sich auf Weihnachten!“ Aus der Ferne überschätzte Clara deutlich die „Aufmerksamkeiten“, die man in Wien einem immer noch Fremden entgegenbrachte. „Wohlgemut“ war Brahms am Heiligabend eigentlich auch nicht, denn wieder einmal suchte er in letzter Sekunde Hände ringend nach einem Geschenk für die lieben Schumann-Kinder. Da fiel ihm ein Gedicht in die Hände, das sein Patensohn Felix Schumann verfasst und ihm zugesandt hatte: „Meine Liebe ist grün wie der Fliederbusch.“ Am „24ten Dezember 73 Morgens“ datierte er seine Vertonung dieser Zeilen. Noch am selben Tag trug er die Noten zum Postamt, begleitet von einem wieder sehr knappen Weihnachtsbrief, der sicher noch vor dem Fest eintraf, denn die Post arbeitete damals auch an Feiertagen: 

„Liebe Clara, die Verse sind mir wirklich heute früh in die Hände gefallen. Wahrscheinlich, weil ich mich ärgerte, nie für ein Fest denken und besorgen zu können. Für die Schwestern kann es ja eine kleine Festgabe sein, denn sie werden doch auch gern die Verse des Bruders singen wollen. Ihm selbst aber und der gestrengen Mutter sage ich natürlich nur meinen Festgruß. Ihr verlebt es gewiß recht froh, und Du läßt auch keine Gedanken herein, die nach Moll modulieren?“ Für Letzteres hatte der Komponist gesorgt: „Meine Liebe ist so grün“ zählt zu seinen überschwänglichen Liedern im reinen Dur. 

Zum Hören:

„Meine Liebe ist grün wie der Fliederbusch“, op. 63 Nr. 5, Elisabeth Steiner, Lienhard Krüger (Hamburg 1977)

https://www.youtube.com/watch?v=uCau2sKZT0Y

Streichquartett c-Moll, op. 51 Nr. 1, Aris Quartett, Madrid, 13.12.2019

https://www.youtube.com/watch?v=MgH0e-uPFUs

Klavierkonzert Nr. 1 d-Moll, op. 15, Adagio; Krystian Zimmerman, Klavier; Berliner Philharmoniker, Simon Rattle (2005)

https://www.youtube.com/watch?v=sxZ0yATM0Oc