Maddalena Laura Sirmen, Primadonna der Dresdner Hofoper, berühmte Geigerin und Komponistin aus Venedig (anonymes Porträt).

Advent in Dresden 1776

Am vierten Advent 1776 genoss eine berühmte italienische Musikerin zwischen Opernproben und Violinkonzerten die vorweihnachtlichen Genüsse im Elbflorenz: Laura Sirmen. 

Eine Venezianerin an der Elbe

von Karl Böhmer

Taxifahrer im modernen Dresden machen ihren höchsten Jahresumsatz im Dezember: Dresdner Christstollen, Dresdner Striezelmarkt und die prachtvolle Kulisse im Elbflorenz locken die Touristen zu Tausenden in die Stadt. Anno 1776, als das Italienische Dörfchen unweit der Hofkirche noch ein solches war und der Striezelmarkt immerhin schon seine 342. Auflage erlebte, lernte eine junge Venezianerin die Adventsgenüsse Dresdens kennen: Laura Sirmen. Sie war nicht nur die neue Primadonna der Dresdner Hofoper, sondern zugleich die berühmteste Geigerin Europas und eine geschätzte Komponistin von Violinkonzerten und Streichquartetten. In dieser Dreifachbegabung stand sie unter den Musikern und Musikerinnen ihrer Zeit einzig dar, wobei sie den ganzen Zauber ihrer Singstimme erst in Dresden entfaltete. Für sechs Jahre, von 1776 bis 1782, gehörte sie zum dortigen Ensemble und lernte das „Elbflorenz“ in einer Spätblüte des Rokoko kennen – gerade an Weihnachten.

Geigerin in Venedig und Paris

Laura Sirmen war selbst ein Adventskind: Sie wurde als Maddalena Laura Lombardini am 9. Dezember 1745 in Venedig geboren und am Ospedale dei Mendicanti ausgebildet. Wer dort ihr erster Geigenlehrer war, ist unbekannt, später aber wurde sie eine Lieblingsschülerin des berühmten Tartini in Padua, der ihr einen langen Brief über die Grundlagen des Geigenspiels geschrieben hat. „Sie brachte es auf diesem Instrument in der edlen und großen Ausführung des Adagio so weit, daß sie dem Nardini, Tartinis bestem Schüler, an die Seite gesetzt wurde“, so rühmte später Ernst Ludwig Gerber im Lexikon der Tonkünstler. Um sie aus den Fängen des Ospedale zu befreien, plante ihr Lehrer Tartini zusammen mit dem Dresdner Kirchen-Compositeur Johann Gottlieb Naumann schon 1766 eine arrangierte Heirat mit einem Tenor aus Cremona und ein Engagement in Dresden, was aber im Sande verlief. 1767 heiratete sie stattdessen den Geiger Lodovico Sirmen aus Ravenna, mit dem gemeinsam sie einen Band von Streichquartetten verfasste und nach Paris reiste. Ihr Debüt als Geigerin im Concert spirituel an Mariä Himmelfahrt 1768 war eine Sensation: 

„Bei den Musikliebhabern erregte eine Geigerin besonderes Aufsehen: Madame Sirmen, eine hübsche, junge Frau aus Venedig. Gemeinsam mit ihrem Ehemann spielte sie ein Konzert von ihrer eigenen Komposition. [...] Sie erntete starken Applaus. Wir fanden Wahrheit, Reinheit und Annehmlichkeit in ihrem Spiel. Dem Adagio verlieh sie eine Sensibilität, wie sie ihrem Geschlecht eigen ist. Dennoch spielte sie die Geige in einem solchen Grad von Perfektion, dass sie den großen Meistern gleich kommt – wenn sie sie nicht gar übertrifft!“

Opernsängerin in London und Italien

Ihre zweite Karriere als Opernsängerin begann die gefeierte Geigerin 1772 in London unter dem Namen Laura Sirmen. Es war der große Antonio Sacchini, der sie in seiner Oper Il Cid an die Seite der Londoner Opernstars stellte und zum Debüt als Seconda donna ermutigte. Nachhaltiger Erfolg war ihr damit an der Themse nicht beschieden, denn die Musikkenner auf der Insel blieben skeptisch. Charles Burney schrieb einigermaßen gehässig:  

„Madame Sirmen, eine Schülerin von Tartini, die zu Recht für ihr glänzendes und expressives Violinspiel bewundert wird, trat in der Rolle der zweiten Sängerin auf. Da sie jedoch so lange die erste Geige auf ihrem Instrument gespielt hat, degradiert sie sich selbst, indem sie nun eine zweite Rolle annimmt, in der sie niemals zum ersten Rang aufsteigen wird – obwohl es ihr nicht an Stimme und Geschmack mangelt.“

Ganz anders in Italien: Laura Sirmen wurde als Primadonna mit offenen Armen und Ohren empfangen. Im Sommer 1775 trat sie in Siena zusammen mit Domenico Bedini auf, dem späteren Sesto in Mozarts La clemenza di Tito. Im Frühjahr 1776 sang sie in Pisa neben Valentin Adamberger, dem ersten Belmonte in Mozarts Entführung aus dem Serail, der damals als Seria-Tenor gefeiert wurde. Sirmen konnte sich mit ihren besten männlichen Kollegen messen. Die Gazzetta Toscana rühmte sie in Livorno für ihre „profunde musikalische Kenntnis“, die Gazzetta Universale in Pisa für „ihre außerordentlich gute Manier des Gesangs“. Das höchste Lob aber zollte ihr die Presse 1775 nach einem Konzert in Siena, in dem sie nacheinander in Opernarien und Violinkonzerten glänzte:

„Siena 19. August. Die berühmte Signora Laura Sirmen, die mit allgemeinem Beifall die Partien der Primadonna im Ezio und im Antigono ausführt – den Opern, die im Teatro Grande der edlen Accademia degli Intronati aufgeführt werden –, gab gestern Abend im besagten Theater eine Akademie für Gesang und Instrumentalmusik. Sie sang zwei Arien von berühmten Meistern, in denen sie die Süße ihrer Stimme und ihr überragendes Können zur Geltung brachte, kombiniert mit jenem Ausdruck, der allein die Seele der Zuhörer rühren kann. Anschließend spielte sie zwei von ihr selbst geschriebene Violinkonzerte. Dabei war ihr Klang so delikat und ihre Meisterschaft, die schwierigste Musik mit der höchsten Eleganz auszuführen, so groß, dass sie nicht nur die Kenner überraschte und berührte, sondern die gesamte Zuhörerschaft. Die Sage hat uns mit Orpheus geprahlt, doch Signora Sirmen hat uns bewiesen, wie sehr eine süße Harmonie im wirklichen Leben auf das menschliche Herz wirken kann.“ (Gazzetta Toscana N. 34 1775)

Weihnachten in Dresden

Als Laura Sirmen 1776 in Dresden ihr erstes Weihnachtsfest verbrachte, traf sie Naumann wieder, der sie schon zehn Jahre zuvor nach Sachsen hatte holen wollen. Im Februar zuvor zum Hofkapellmeister ernannt, war er wahrscheinlich für ihr Engagement verantwortlich. Sein prachtvolles Te Deum füllte über die Feiertage den hohen Raum der katholischen Hofkirche mit dem gesamten Glanz der Hofkapelle und der Hofsänger. Sie selbst wird sich vielleicht an einer rührenden Antiphon zum Weihnachtsfest von Hasse versucht haben, dem langjährigen Dresdner Hofkapellmeister. Sein „Alma redemptoris mater“ war dank Charles Burney auch in London bekannt und hätte zu Sirmens Stimme gut gepasst. Neu für die Italienerin war sicher die lutherische Kirchenmusik an der Dresdner Frauenkirche. Seit der Zerstörung der Kreuzkirche durch preußische Kanonen 1760 führte hier der Kreuzkantor Gottfried August Homilius das musikalische Regiment. Just zu Weihnachten 1776 dirigierte er sein Oratorium Die Freude der Hirten über die Geburt Jesu. In dem Chor „Schlaf, Sohn aus Davids Stamm“ konnte Laura Sirmen vertraute Töne italienischer Weihnachtspastoralen wiedererkennen, die in Dresden hoch im Kurs standen. So weit die Venezianerin auch von der Lagunenstadt entfernt war: An den Ufern der Elbe umfingen sie vertraute Klänge von italienischer Brillanz und Schönheit – vor der atemberaubenden Kulisse des spätbarocken Dresden mit seiner italienisch anmutenden Baukunst.

Was ihre eigenen Auftritte anbelangte, hatte sie im Advent 1776 ihre ersten Opernrollen einzustudieren – nicht für die große Opera seria, die es in Dresden seit den verheerenden Folgen des Siebenjährigen Krieges nicht mehr gab, sondern für die Buffa-Opern, die man im kleinen Kurfürstlichen Theater im Zwinger spielte. In ihnen übernahm Laura Sirmen ab dem Karneval 1777 die „parti serie“, die ernsten Rollen, was sogar im Mailänder Indice dei teatrali spettacoli, dem Spielplan aller italienischen Opernbühnen, vermerkt wurde. 1777 gab sie die Contessa in Paisiellos Le due contesse und die Marchesa in Anfossis La vera costanza. Weiter standen Opern von Salieri, Piccinni, Guglielmi und den Dresdner Komponisten Naumann und Schuster auf dem Spielplan. Dafür bezog sie 1700 Taler jährlich, das bei weitem höchste Gehalt der Hofsänger. Zweifellos wird sie daneben auch ihre Violinkonzerte in Dresden gespielt haben – damit auch der sächsische Hof die berühmte Schülerin Tartinis auf ihrem Instrument erleben konnte.

Zum Hören:

Laura Maddalena Sirmen: Violinkonzert E-Dur, Piroska Vitárius, Violine, Savaria Baroque Orchestra, Pál Németh

https://www.youtube.com/watch?v=hF5wJICHhI4

Johann Adolph Hasse: Alma redemptoris mater, Arie Virgo prius, Ruby Hughes, Mezzosopran, Arte dei Suonatori, Martin Gester

https://www.youtube.com/watch?v=7hWI9HvUzXU

Johann Gottlieb Naumann: Te Deum D-Dur (Dresden 1775), Chor der Staatsoper und Staatskapelle Dresden, Herbert Blomstedt

https://www.youtube.com/watch?v=1fWN1i35QtU

Gottfried August Homilius: „Schlaf, Sohn aus Davids Stamm“ aus Die Freude der Hirten über die Geburt Jesu (Dresden 1776), Virtuosi Saxoniae, Ludwig Güttler

https://www.youtube.com/watch?v=Zr1jFOmlAHo