Weihnachten in Wien 1781
Ein Weihnachtspropramm ganz ohne Besinnlichkeit: Zum Fest 1781 unterhielt Kaiser Joseph II. prominente Gäste aus Russland mit allem, was Wien musikalisch zu bieten hatte: Gluck, Mozart, Haydn und großer Gesang.
Russischer Besuch beim Kaiser
von Karl Böhmer
Heiligabend mit lieben Freunden zu verbringen, ist eine Sache, Staatsgäste an Weihnachten angemessen zu unterhalten, eine ganz andere. Zum Weihnachtsfest 1781 hatte Kaiser Joseph II. in der Wiener Hofburg den russischen Thronfolger, Großfürst Paul, und dessen württembergische Gemahlin zu Gast. Um das große Protokoll eines offiziellen Staatsbesuchs zu vermeiden, reisten die beiden unter dem Inkognito „Graf und Gräfin von Norden“. Als „Conti del Nord“ setzten sie ihre Reise im Fasching 1782 nach Italien fort, wo in Rom, Neapel und Turin große Seria-Opern zu ihren Ehren aufgeführt wurden. Ganz so kostspielig wollte es der Kaiser nicht halten. Im Vorfeld lehnte er kategorisch ab, sich um ein angemessenes Musikprogramm für die hohen Gäste zu kümmern. Mozarts bissiger Kommentar dazu: „der grosfürst bleibt bis Neujahr hier; und dem kaÿser ist es nun bange geworden wie er ihn diese lange zeit durch unterhalten könne – damit er aber nicht viel kopfzerbrechens hat, so unterhaltet er ihn gar nicht. – es ist Ja genug, wenn er seine frau unterhaltet, und dazu – ist er allein genug.“ (5.12.1781) Mit der letzten Bemerkung zielte Mozart – indiskret wie immer – auf das äußerst vertraute Verhältnis des Kaisers zur jungen Großfürstin ab.
Weihnachtspläne für hohe Gäste
Nicht dass es an Vorüberlegungen gefehlt hätte. Noch im Oktober hatte der alte Staatskanzler Kaunitz nach dem Motto „chi più spende, meno spende“ dazu geraten, Wien von seiner besten Seite zu zeigen und eine Opera seria mit berühmten Gastsängern aus Italien einzukaufen. Doch der Kaiser dachte gar nicht daran: „Was die Opera seria aus Italien betrifft, ist es zu spät, um etwas Gutes zu bekommen, und im Übrigen ist sie ein so langweiliges Spektakel, dass ich davon niemals Gebrauch machen werde“. Also musste improvisiert werden. Zwei Glucksche Opern wurden auf den Spielplan gesetzt, ansonsten schickte der Kaiser seine Gäste einfach in die Abonnement-Vorstellungen des Hofburgtheaters. Gott sei Dank befanden sich drei Größen der italienischen Musik in der Stadt, die er im weihnachtlichen Festprogramm als Trumpfkarten ausspielen konnte: die Primadonna Luísa Todi und der Kastrat Francesco Ceccarelli mit Arien aus Seria-Opern und den Klaviervirtuosen Muzio Clementi in einem Wettstreit bei Hofe. Geschickt inszenierte Joseph II. diese Ereignisse so, als seien sie von langer Hand geplant gewesen.
Bravourarien im Advent: Luísa Todi in der Hofburg
Die Wiener Zeitung verfolgte das Besuchsprogramm der hohen russischen Gäste auf Schritt und Tritt:
„Sonntags, den 9 dieses, vormittags, fuhren der Herr Graf, und die Frau Gräfin von Norden, in das griechische Bethhaus in dem sogenannten Steyrerhofe, pflegten allda Dero Andacht, und kehrten wieder nach Deren Wohnung zurück.“
Um am zweiten Advent dem orthodoxen Sonntagsgottesdienst beizuwohnen, stand dem russischen Thronfolger wenigstens die griechische Gemeinde im Steirerhof zur Verfügung. Tags zuvor war er mit seiner Frau dem feierlichen katholischen Pontifikalamt zum Fest der Unbefleckten Empfängnis im Stephansdom demonstrativ ferngeblieben. Was Musik und Theater betraf, waren dergleichen Abgrenzungen nicht nötig: In den ersten Adventstagen genossen die russischen Besucher Glucks Alceste in italienischer Sprache, Salieris deutsches Singspiel Der Rauchfangkehrer und Shakespeares König Lear. Vorläufiger Höhepunkt war der zweite Advent:
„Nach der Mittagstafel wurde in höchst Dero Zimmern ein Concert aufgeführt, wobey die Mademoiselle Dodi sich hören zu lassen, die höchste Gnade hatte. Sodann erschienen die höchst- und hohe Herrschaften im Theater, sahen die Iphigenia in Tauris, ein Singspiel, aufführen, fanden sodann sich in der masquirten Redoute ein, welche sehr zahlreich war, und begaben sich daraufhin zur Nachtruhe.“
Die große Luísa Todi, Primadonna assoluta aus Portugal, sang einige ihrer brillanten Arien, darunter sicher auch die Bravourarie der Rosamonda aus dem Arminio von Bernardino Ottani, den sie im Karneval 1781 in Turin mit sensationellem Erfolg aus der Taufe gehoben hatte. 1786 sollte sie mit ihrer Gesangskunst auch die Russen in Sankt Petersburg verzaubern und zur Favoritin von Katharina der Großen aufsteigen. Die Grundlagen für dieses Engagement wurden schon 1781 in Wien gelegt. Nach dem Konzert mit Todi sahen die russischen Gäste in der Hofoper Glucks Iphigenie auf Tauris in der deutschen Fassung. Danach veranstaltete der Kaiser mitten im Advent einen Maskenball – bei größtem Zulauf.
Klavierwettspiel am Heiligabend: Clementi gegen Mozart
Über den Heiligen Abend in der Hofburg schwieg sich die Wiener Zeitung aus – seltsamerweise, denn was der Kaiser hier seinen hohen Gästen bot, war ein wahrhaft einmaliges Gipfeltreffen der Klavierkunst. Da sich der berühmte Klaviervirtuose Muzio Clementi aus London gerade in Wien aufhielt, ließ er ihn zum Wettstreit mit dem virtuosesten Pianisten Wiens antreten: Wolfgang Amadé Mozart. Der Unterhaltungsfaktor für das höfische Publikum wurde noch dadurch gesteigert, dass keiner der beiden Kontrahenten vorher von der Anwesenheit des Gegners unterrichtet wurde. Die Überraschung Mozarts und Clementis kann man sich lebhaft vorstellen. Mozarts lakonischer Kommentar an seinen Vater in Salzburg: „vorgestern als den 24:tn habe ich beÿ hofe gespiellt – es ist noch ein clavier spieller hier angekommen, ein Welscher er heist. Clementi. dieser war auch hineinberufen.“ Heimlich schloss der Kaiser mit der geschätzten russischen Großfürstin eine Wette ab, wer als Sieger aus dem Rennen hervorgehen würde. Am Ende wurde auf unentschieden plädiert. Clementi zeigte sich tief beeindruckt von Mozarts Klavierspiel, während der Salzburger den Italiener als „bloßen Mechanicus“ abtat. Ob Mozart an jenem Heiligabend in der Hofburg auch seine Variationen über „Ah vous-dirai je, Maman“ zum Besten gab? Das Thema hatte damals freilich noch nichts mit Weihnachte zu tun. Zu dem Text „Morgen kommt der Weihnachtsmann“ kam die berühmte Liedmelodie aus Frankreich erst lange nach Mozarts Tod.
Hohe Töne vom Kastraten: Ceccarelli und Haydn im Weihnachtskonzert
Vom ersten Feiertag in der Hofburg berichtete die Wiener Zeitung wieder ausführlich:
„Dienstags, den 25 dieses, an dem hohen Feste der Geburt Christi, erhoben sich Seine kaiserliche Majestät in Begleitung der Herren Rittern des goldenen Vließes, mit umhangender grossen goldenen Ordenskette, und Aufwartung des gesamten Hofstaates, mehrmal in die grosse Hofkapelle, und warteten allda dem von dem päpstlichen Herrn Nuntius gehaltenen Gottesdienste ab; speisten Mittags mit den höchsten Fremden Herrschaften, und wohnten Abends mit denselben einem in den Zimmern der Frau Gräfin von Norden gehaltenen grossen Concerte bey, in welchem sich die vornehmsten hier befindlichen Tonkünstler, beiderley Geschlechts, hören ließen.“
Unter diesen „vornehmsten Tonkünstlern“ befand sich auch der Soprankastrat Francesco Ceccarelli aus Foligno, seit 1778 Mozarts Kollege in Salzburgischen Diensten: „der Ceccarelli empfiehlt sich; er hat gestern beÿ hofe gesungen,“ berichtete Mozart seinem Vater am 26.12. Schon einen Monat zuvor hatte Leopold Mozart die Ankunft des Kastraten in Wien avisiert, wobei sein Sohn heftig ablehnte, den Sänger bei sich unterzubringen: „wegen dem Ceccarelli kann es ohnmöglich seÿn, und wenn es nur auf eine einzige Nacht wäre; denn ich habe nur ein einziges zimmer, welches nicht groß, und schon ganz durch kasten, tisch und klavier so voll ist, daß ich nicht wüsste, wo man noch ein Bett hinstellen könnte. – und in einem Bett schlafen – mag ich mit niemand, als mit meiner zukünftigen frau. – aber um ein nach möglichkeit wohlfeiles logis will ich ihm umsehen.“
Neben Ceccarelli war Jopseh Haydn der Ehrengast des Weihnachtskonzerts in der Hofburg: Vier Wiener Streichervirtuosen hoben eines seiner brandneuen Quartette Opus 33 aus der Taufe heben, wofür ihn die russischen Herrschaften mit einer „prächtig mit Brillanten besetzten emallierten goldenen Dose" entlohnten.
Neujahrskonzert in Wien anno 1782
Ceccarellis glockenreine Soprantöne begleiteten auch das Vergnügungsprogramm der „Grafen von Norden“ zwischen den Jahren: Am 27.12. „Abends sahen die höchste Herrschaften die Oper Alceste aufführen. Freytags, den 28 bey besonders schön angelassener Witterung, giengen Seine Majestät der Kaiser, mit der Frau Gräfin von Norden auf dem Walle ober dem Burgthore bis zum Kärtnerthore spazieren.“ Am Neujahrstag trat Ceccarelli erneut auf, zusammen mit Luísa Todi beim großen Neujahrsempfang des Kaisers in der Hofburg. Eigens für seine erlauchten Gäste ließ der Kaiser das große Zeremoniell des 1. Januar in seiner Residenz wieder aufleben – mit Baldachin und Festmahl, dazu ein Konzert mit italienischen Opernarien und Duetten, gesungen von Todi und Ceccarelli. Erst danach stürzten sich die Wiener in den Taumel der Faschingsbälle, bei denen auch schon die ersten Walzer erklangen, damals „Teutsche Tänze“ genannt.
Ob Francesco Ceccarelli zur Wiener Weihnacht des Jahres 1781 neben italienischen Opernarien auch lateinische Kirchenmusik aufgeführt hat, ist nicht überliefert. Mozart hat für ihn das berühmte Agnus Dei aus der „Krönungsmesse“ geschrieben. „Das Tragen der Töne“, das Ceccarelli noch als alter Sänger in Dresden perfekt beherrschte, ist hier auf unnachahmliche Weise in die flehentliche Bitte an das Lamm Gottes ungewandelt worden.
Zum Hören:
Bernardo Ottani: Arie der Rosmira aus Arminio „Se pietà tu senti al seno“, geschrieben für Luísa Todi im Karneval 1781 in Turin, Joana Seara (Sopran), Leitung: Marcos Magalhães.
https://www.youtube.com/watch?v=8dfD8GmkbAA
Wolfgang Amadeus Mozart: Variationen über „Ah, vous dirai-je, Maman?“ KV 265, Stephen Lubin, Hammerflügel
https://www.youtube.com/watch?v=fGGWtz_v6xM
Agnus Dei aus der „Krönungsmesse“, KV 317, Kathleen Battle (Sopran), Wiener Philharmoniker, Herbert von Karajan, aufgezeichnet 1985 im Petersdorm während des Pontifikalamts zum Fest Peter und Paul mit Papst Johannes Paul II.