Chanukka und Tochter Zion, 3.12.
Wenn Christen im Advent „Tochter Zion“ singen, denken sie kaum daran, dass Händel mit diesem Gesang urprünglich den Urheber des jüdischen Chanukka ehren wollte: den Feldherrn Judas Makkabäus.
Chanukka und Judas Makkabäus
Ab dem 18. Dezember feiern die jüdischen Gemeinden in diesem Jahr Chanukka oder Hanukkah, das Fest der Lichter. Es erinnert alljährlich daran, dass der Feldherr Judas Makkabäus nach Jahren der Entweihung des Tempels von Jerusalem dort im Jahre 164 v. Chr. wieder den siebenarmigen Leuchter erstrahlen ließ – ein Licht der Hoffnung für die unterdrückten Juden im hellenistischen Reich der syrischen Herrscher. Die Seleukiden hatten von Antiochia aus heidnische Kulte in den Tempel importiert – eine Entweihung, die der Makkabäer nach gewonnenen Schlachten rückgängig machte. Als jedoch die Tempelpriester den siebenarmigen Leuchter wieder entzünden wollten, fanden sie nur noch Öl für einen einzigen Tag vor. Auf wundersame Weise brannte die Menora dennoch volle acht Tage, bis neues Öl eingetroffen war. Deshalb feiert man Chanukka acht Tage lang und beginnt mit der Erleuchtung der Chanukkia, des acht- oder neunarmigen Chanukka-Leuchters.
Als sich Georg Friedrich Händel 1746 entschloss, aus dieser Geschichte ein Oratorium zu formen, hatte er zwar einen englischen Feldherrn seiner eigenen Zeit vor Augen – den Duke of Cumberland –, dachte dabei aber auch an sein jüdisches Publikum. Mit Judas Maccabaeus schuf er für die jüdischen Kaufleute in London eine klingende Geschichte ihres Chanukka mit dem ersten Lichterfest im dritten Akt. Dass just ein Festgesang aus diesem Oratorium im 19. Jahrhundert zu dem deutschen Adventslied „Tochter Zion, freue dich“ wurde, ist eine schöne Verknüpfung jüdischer und christlicher Heilserwartungen gegen Ende des dunklen Dezember.
Siegesruf für einen jüdischen Helden
Als der Duke of Cumberland, der Lieblingssohn von King George II, dem letzten großen Aufstand der Schotten im Juni 1746 in der Schlacht bei Culloden ein blutiges Ende bereitete, waren die Londoner erleichtert – auch George Frideric Handel, seit 1727 naturalisierter Engländer. Er schwamm auf der Welle des Patriotismus und schrieb 1746/47 seine drei so genannten „Kriegsoratorien“: das Occasional Oratorio, Judas Maccabaeus und Joshua. Alle drei Werke verherrlichen die Befreier des Volkes Israel von der Unterdrückung – eine unzweideutige Anspielung auf den Duke of Cumberland und das nationale Hochgefühl der Engländer.
Vor allem ein Triumphgesang der befreiten Israeliten hatte es den Londonern angetan: der Begrüßungschor des dankbaren Volkes zum Einzug des Siegers „See, the conq’ring hero comes“. Händel hatte ihn zuerst für das Oratorium Joshua geschrieben, dann aber 1748 nachträglich in sein früheres Oratorium über den Makkabäer verpflanzt, was den Ruhm dieses Satzes erst begründete. Denn Judas Maccabäus gehörte schon ab dem späten 18. Jahrhundert zu Händels meistgespielten Oratorien auf dem Kontinent. Die martialischen Bilder des Textes hat Händel in die reizende Melodie eines Rigaudon gekleidet und zunächst von Ober- und Unterchor getrennt singen lassen, zu ganz leichter Instrumentierung, bevor das prachtvolle Tutti einsetzt:
CHORUS OF YOUTHS
See, the conqu’ring hero comes!
Sound the trumpets, beat the drums.
Sports prepare, the laurel bring,
Songs of triumph to him sing.
CHORUS OF VIRGINS
See the godlike youth advance!
Breathe the flutes, and lead the dance;
Myrtle wreaths, and roses twine,
to deck the hero’s brow divine.
Adventslied aus Franken
Es dauerte beinahe 80 Jahre, bis aus diesem Begrüßungschor für den Kriegsfürsten Judas eine adventliche Begrüßung des Friedensfürsten Jesus wurde – fern von England, in Mittelfranken. Es war Friedrich Heinrich Ranke, ein progressiver evangelischer Theologe aus Thüringen, der dem Eroberer-Chor Händels den weitaus friedlicheren geistlichen Text unterlegte. In Wiehe an der Unstrut geboren, ging er zum Studium zunächst nach Jena und wurde dort zum Anhänger des „Turnvaters“ Jahn, des Philosophen Fichte und anderer Vordenker des 19. Jahrhunderts. Nach dem ersten Examen verschlug es ihn nach Franken, das seine Wahlheimat bis zum Lebensende blieb. Als Pfarrer im mittelfränkischen Rückersdorf bei Nürnberg richtete er sein Augenmerk auf das Eindeutschen englischer Liedvorlagen. Zunächst schuf er für das „Adeste fideles“ mit der berühmten Melodie des Engländers John Wade den deutschen Text „Herbei, o ihr Gläubigen“. Dann kam ihm der geniale Gedanke, Händels Jubelchor aus Judas in ein Kirchenlied umzuwandeln, kurioserweise zum Palmsonntag, als Musik zum Einzug Jesu in Jerusalem:
ZUM PALMSONNTAGE
Tochter Zion freue dich,
Jauchze laut, Jerusalem!
Sieh, dein König kömmt zu dir
Ja, er kömmt, der Friede=Fürst,
Tochter Zion freue dich,
Jauchze laut, Jerusalem!
Hosianna, Davids Sohn!
Sey gesegnet deinem Volk!
Gründe nun dein ew’ges Reich,
Hosianna in der Höh!
Hosianna, Davids Sohn!
Sey gesegnet deinem Volk!
Louise Reichardt, die älteste Tochter des bekannten Berliner Komponisten und Publizisten, druckte Rankes Text mit Händels Melodie 1826 in ihrer Sammlung Christliche liebliche Lieder ab. Ganz allmählich wanderte das Lied dann in Gesangbüchern der Zeit von der Karwoche in den Advent.
Zum Hören:
„See the conquering hero comes“ aus Judas Maccabäus mit der Handel Oratorio Society und der Capilla Real de Madrid unter Óscar Gershensohn:
https://www.youtube.com/watch?v=WnuGOs1FmP0
„Tochter Zion, freue dich“ aus der Frauenkirche in Dresden mit Kreuzchor, Staatskapelle, Magdalena Kozena und Thomas Hampson, Leitung: Christoph Eschenbach