Advent in Mainz, 11.12.1924
Er war ein Mainzer Adventskind und für die Heiterkeit nach Feierabend das Vademecum einer ganzen Generation: Heinz Schenk, der Wirt im Blauen Bock, wäre heute 100 Jahre alt geworden.
Mainzer Adventskind im Hessenland: Heinz Schenk zum 100.
von Karl Böhmer
Der 11. Dezember 1924 ist in Mainz ein klirrend kalter Tag wie auch sonst in Deutschland, doch noch erhitzen die Diskussionen über das Wahlerergebnis vom zweiten Adventssonntag die Gemüter. „Die deutschen Sendestationen verkünden die Wahlergebnisse Sonntag, am 7. Dezember, die ganze Nacht hindurch radiotelephonisch“, so wird selbst in Wien gemeldet. Das neue Medium Radio macht bald allen klar, dass die Reichstagswahlen wieder keine eindeutige Mehrheit erbracht haben, immerhin aber eine Absage an die radikalen Parteien auf der linken wie der rechten Seite. Goldreserven aus den USA stützen die deutsche Währung, so dass der noch amtierende Reichstag endlich den Haushalt verabschieden kann. Die Mainzer dürfen also mit einer gewissen Gelassenheit der fünften Jahreszeit entgegenblicken. Auch die Familie Schenk ist vom Jokus-Virus infiziert: Ihr Sohn Heinz kommt natürlich am 11. des Monats zur Welt und besteigt schon im Kindesalter die Bütt – beste Grundlage für seine spätere Karriere als Leuchtturm der deutschen Fernsehunterhaltung. Das Paradox seines Lebens: Als „Hesse“ wird das Mainzer Adventskind zum Aushängeschild des Hessischen Rundfunks. Er babbelt hessisch, er verteilt Äppelwoi-Bembel an seine Gäste, und er lebt mit seiner Frau in Wiesbaden-Naurod – dort, wo er im Mai 2014 zu Grabe getragen wird.
Der Ur-Mainzer Heinz Schenk
Obwohl sich Heinz Schenk mit Haut und Haaren der Sache Hessens im deutschen Fernsehen verschrieben hatte, steckte tief in seinem Innern noch ganz der Mainzer. Dies hat für unser Kalenderblatt der prominente Mainzer Krimi-Autor Peter Jackob formuliert, der selbst am besten weiß, was es heißt, aus einer zutiefst Mainzerischen Familie zu stammen:
„Heinz Schenk, der gerne als ‘Ur-Hesse der Nation‘ bezeichnet wird, ist Ur-Mainzer. Schon meine Großmutter, Jahrgang 1910, erzählte mir, dass er bei uns in der Mainzer Altstadt aufgewachsen ist und in die St. Marienschule, das spätere Willigis-Gymnasium, ging.
Vieles, was man Schenks Person als Charaktereigenschaften zuschreibt, wird den Mainzerinnen und Mainzern vertraut vorkommen: humorig und fröhlich, eine gewisse Kleinbürgerlichkeit, im gleichen Moment aber auch nachdenklich, mit einer Portion Lebensweisheit und einer gewissen Schwermut.
Dass bei seinem Hit Es ist alles nur geliehen die Vergänglichkeit wie auch die eigene Endlichkeit deutlich zu spüren sind und man sich an Passagen aus Liedern wie So ein Tag oder Heile, heile Gänsje erinnert fühlt, stellt sicherlich nicht den einzigen Bezugspunkt zwischen diesem Ur-Mainzer und seiner Heimatstadt dar. Heinz Schenk zog aus und brachte den Menschen Frohsinn in die Wohnzimmer, den er immer wieder mit geistvollen Reflexionen mischte – eine typische Mainzer Wesensart.“ (Peter Jackob)
Mühevoller Aufstieg
Heinz Schenks mühsamen Einstieg ins Showgeschäft hat die BILD-Zeitung in knappen Worten beschrieben. Josef Nyarys Nachruf vom 2.5.2014 auf den tags zuvor verstorbenen Entertainer spitzt die wesentlichen Fakten in gewohnter BILD-Manier zu, wobei die von Heinz Schenk selbst lancierte Auskunft, seine Mutter sei Tänzerin gewesen, in der ARD nun quasi offiziell korrigiert wurde: Sie arbeitete als Sekretärin bei den Mainzer Stadtwerken:
„Der Vater ist Drogist, die Mutter Tänzerin. Der kleine Heinz kaspert im Beichtstuhl herum und fliegt fast von der Bischofsschule [das Wiligis-Gymnasium, das er mit dem Abitur absolviert]. Mit zehn Jahren klettert er für den Mainzer Frauenchor in die Bütt. Nach Lehrjahren in einem [Wiesbadener] Kaufhaus, Abteilung Teppiche und Gardinen, schafft er die Schauspielschule. Die Nazis haben seit 1933 eine 'Reichstheaterkammer'. Für die braunen Rassisten ist Schenks Mutter eine ‘Halbjüdin‘, der Sohn dürfte nirgends auftreten. Doch ein Pfarrer fälscht die Papiere, und der junge Mime darf im Wormser Kabarett Elefant Filmgrößen parodieren: Heinz Rühmann, Hans Albers, Hans Moser, Theo Lingen. Gage: 5 DM, Abendessen, Fahrkarte 3. Klasse. 1951 heuert der Jungschauspieler beim Hessischen Rundfunk an, reißt im Frankfurter Wecker frühmorgens Witze. Auch Peter Frankenfeld und Hanns-Joachim Kulenkampff gehen durch diese harte Schule. Star des Senders ist Otto Höpfner, seit 1957 Wirt der Äppelwoi-Kneipe Zum Blauen Bock. Als er 1966 mehr Gage will und mit Kündigung droht, gibt ihm der Programmdirektor einen Abschieds-Bembel, trifft Schenk im Fahrstuhl und macht ihn zum Nachfolger.“ (BILD, 2.5.2014)
Dass Heinz Schenk diese Wachablösung eines arrivierten Showmasters, die ihn 1967 in den Blauen Bock katapultierte, später selbst gnadenlos parodiert hat – als „Heinz Wäscher“ in dem legendären Film Kein Pardon von und mit Hape Kerkeling –, zeugt von seinem kritischen Blick auf die eigene Profession und von Selbstironie, die nicht jedem seiner Kollegen gegeben war. Heinz Schenk konnte auch über sich selbst lachen.
Zum Blauen Bock
Um das Phänomen „Heinz Schenk im Blauen Bock“ zu beschreiben, genügt es nicht, von „hoch die Tassen“ und Fastnachtsmentalität zu sprechen wie in der jüngsten ARD-Würdigung des Entertainers Der 20 Millionen Mann. Muss sich denn – wie dieser Film suggeriert – die Generation unserer Eltern und Großeltern wirklich posthum vor den „68ern“ dafür rechtfertigen, an Biertischen oder vor dem Fernseher den Schlagern ihrer Zeit applaudiert zu haben? Hatten diese schwer arbeitenden Menschen im Südwesten der Bonner Republik nicht ein Recht darauf, sich genauso auszuleben wie die heutige Jugend bei den Oktoberfesten landauf, landab? Nur dass es dabei vergleichsweise gesittet zuging und die Witze des Heinz Schenk sehr viel niveauvoller, spontaner und gewitzter waren als heute. Außerdem musste man den Frohsinn nicht aus Bayern importieren, sondern war stolz darauf, die eigene Region und die eigene Stadt im TV zu präsentieren, und das in einem großen Show-Format für die ganze Familie.
Die 134 Sendungen Zum Blauen Bock, die Heinz Schenk moderiert hat, kamen nicht aus „Dörfchen“ irgendwo im tiefsten, tumben Hessen-Hinterland, sondern aus den typischen Kleinstädten, die den Humus der 60er bis 80er Jahre in der Bundesrepublik bildeten. Wie stolz man war, wenn der Blaue Block nach Groß-Zimmern bei Darmstadt, Großkrotzenburg oder in die Festspielstadt Weilburg kam, können nur Menschen ermessen, die den Auftrieb miterlebt haben, den die Sendung vor Ort auslöste. Dieses eine Mal hatten die Bürgerinnen und Bürger der betreffenden Stadt eine Bühne im deutschen Fernsehen – vor 20 Millionen Zuschauern. Dank Heinz Schenk musste Hessen die Mundart-Konkurrenz von Komödienstadel und Ohnsorgtheater nicht mehr fürchten – so wenig wie er selbst die Konkurrenz von Kuhlenkampff, Frankenfeld & Co. Was Originalität und Authentizität betrifft, war der Blaue Bock eine geniale Erfindung mit einem dafür perfekten, authentischen Moderator. Übrigens stimmte dabei auch die musikalische Qualität. Dass Tobias Mann im ARD-Interview den kumpelhaften Heinz Schenk ausgerechnet gegen das angeblich so elitäre Opernpublikum ausspielt, könnte falscher nicht sein. Wer wenn nicht Heinz Schenk hat die Opernstars seiner Zeit ins deutsche Fernsehen gebracht? Anneliese Rothenberger, Hermann Prey, Rudolf Schock. Dass sie neben Roberto Blanco und Gitte auftraten, störte weder sie noch die Zuschauer. Die Ghettoisierung der klassischen Musik – sie hatte bei Heinz Schenk keinen Platz.
Gedanken zur Weihnachtszeit
Womit wir beim Musiker Heinz Schenk wären. Zahllose selbst gedichtete Lieder hat er in seine Sendungen eingestreut und damit für den besinnlichen Moment gesorgt, der ihm in jeder Show ebenso wichtig war wie der Humor. Im Adventskalenderblatt genügt es, an seine zwei Weihnachtslieder zu erinnern. War das wirklich unpolitische Lyrik – in der Ölkrise von 1973 und angesichts der schweren Sorgen um Umwelt und Abrüstung anno 1982? War es nicht vielmehr der gelungene Versuch, einer Nation ins Gewissen zu reden und zu singen, ohne den Rahmen der „Unterhaltung“ zu sprengen? Wie hat es Peter Jackob so schön formuliert: „Heinz Schenk zog aus und brachte den Menschen Frohsinn in die Wohnzimmer, den er immer wieder mit geistvollen Reflexionen mischte – eine typische Mainzer Wesensart.“
Zum Hören und Schauen:
Heinz Schenk: Gedanken zur Weihnachtszeit (1973, Franz Grothe am Klavier) und O du fröhliche (aus dem Blauen Bock Weihnachten 1970)
https://www.youtube.com/watch?v=KYmBbTqBZ48
Heinz Schenk: Das wünsch ich vom Weihnachtsmann (1982, Musik: Rolf-Hans Müller):
https://www.youtube.com/watch?v=emFlNGO47Ko
Aus der letzten Sendung Zum Blauen Bock am 19.12.1987:
https://www.youtube.com/watch?v=ew7PHqMjNoA
Witzischkeit kennt keine Grenzen, Ausschnitt aus Kein Pardon: