Junge Geiger aus der Ukraine
Dmytro Udovichenko und Oleh Kurohkin im Sommer auf der Festung Ehrenbreitstein – zwei junge Musiker aus der Ukraine, die in Ton und Wort für das Schicksal ihrer Heimat kämpfen.
Zwei junge Ukrainer versetzen das Publikum ins Staunen
von Barbara Harnischfeger
Nur mal so, Klassikserenade bei freiem Eintritt auf der Festung Ehrenbreitstein an einem Mittwochnachmittag und dann das: ein umwerfend brillantes Konzert mit zwei jungen Geigern der Villa Musica. Ein Solo- und Duo-Programm, Geige pur. In jedem Moment spannend. Das Publikum im Kuppelsaal war gebannt – von der Virtuosität der Geiger, von der Bogentechnik, vom Klangfarben-Reichtum, von den Doppelgriffen, von den Arpeggios und Bariolagen. Oleh Kurochkin, 28, spielte die d-Moll-Chaconne von Johann Sebastian Bach grandios. Dmytro Udovychenko, 23, folgte ihm mit Bartóks Tempo di Ciaccona nicht minder gut. Sein Ton in den hohen Lagen war superb. Bei Sergej Prokofiew lieferten sich die beiden im Duo einen musikalischen Wettstreit. Ein faszinierendes Konzert, das die beiden Garlitsky-Schüler gaben. Die Stipendiaten der Villa Musica spielten erstmals miteinander, hatten in Berlin, am Wohnort von Oleh geprobt, waren am Morgen um 6 Uhr mit der Bahn nach Koblenz gestartet und lieferten dort ein Glanzstück ab. Oleh ist bereits Akademist der Berliner Philharmoniker und spielt bei vielen Orchesterkonzerten, Dmytro ist am Ende des Bachelor-Studiums in Essen und war bei vielen Wettbewerben erfolgreich.
Dass die beiden Geiger Ukrainer sind und ständig um Vater und Mutter bangen, thematisierte Barbara Harnischfeger, die Vorsitzende von FREUNDE der Villa Musica, in einem kleinen Bühnengespräch am Ende des Konzertes.
„Keine Zeit für Versöhnungskitsch“
In ihren Fragen bezog sich Barbara Harnischfeger zunächst auf ein Interview, das Oleh Kurochkin im April der Zeitschrift VAN gegeben hatte, nach seiner Mitwirkung beim „Solidaritätskonzert für Frieden und Freiheit“ in Schloss Bellevue bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am 27. März 2022. Der ukrainische Botschafter hatte die Einladung zurückgewiesen, unter anderem weil dort auch russische Musik gespielt wurde. Und Oleh Kurochkin sagt: „Ja, es ist jetzt keine Zeit für Versöhnungskitsch. Ich war als Akademist der Berliner Philharmoniker für das Konzert eingeteilt und da wollte ich keinen Stress machen.“ Aber wenn er als Solist angefragt werde, spiele er keine russische Musik. Er habe viele Konzerte abgesagt. Wenn man Menschen kennt, die erschossen worden sind, wenn man von Freunden hört, dass jetzt Männer der Krim auf der Straße verhaftet und als Kanonenfutter an die Frontlinie geschickt werden, dann könne er keine russische Musik spielen. Wenn man von der völkerverbindenden Kraft der Musik spreche und von Versöhnung, dann suggeriere das, dass beide Seiten etwas zum Konflikt beigetragen haben. Das sei aber nicht so. Mit russischen Kollegen spiele er, wenn sie eine ganz klare Haltung gegen den Krieg haben. Soweit Oleh Kurochkin in dem VAN-Interview.
Barbara Harnischfeger fragt: Und was ist mit der Sonate für zwei Violinen von Sergej Prokofiew, die Sie gerade so exzellent gespielt haben? Verblüffende Antwort: Prokofiew ist in einem Dorf im Donezk-Gebiet geboren und in der Ukraine aufgewachsen, bevor er nach Frankreich und dann in die Sowjetunion ging. Und Dmytro hatte vor dem Konzert gesagt: es gibt nur wenige Stücke für ein Geigen-Duo und es ist so ein tolles Stück. Man merkt, in welchem Konflikt die jungen Ukrainer stecken.
Der 23jährige Geiger Dmytro Udovychenko kam 2016 aus der bedeutenden Hochschul- und Kulturstadt Charkiw im Nordosten der Ukraine nach Essen zum Studium. Seine Mutter spielt im Charkiw-Opernorchester und ist derzeit auf Tournee durch Europa. Das Orchester hat seinen Sitz in der Slowakei genommen, ist in die Emigration gegangen. Der Vater von Dmytro, ein Bratschen-Professor, ist wegen seiner alten Mutter in der ukrainischen Millionenstadt Charkiw geblieben. Die Musikhochschule, in der er normalerweise unterrichtet, ist von einer Bombe getroffen und nicht in Betrieb derzeit.
Oleh Kurochkin wurde 1994 im Schwarzmeer-Kurort Jewpatorija auf der Krim geboren und ging mit elf Jahren zum Studium nach Kiew, lebte dort 2014 als – gesteuert aus Russland - auf dem Maidan Studenten erschossen wurden. Zuerst hatten sie für den westeuropäischen Kurs ihres Landes demonstriert, dann gegen die korrupte Regierung. Es gab Aufstände im ganzen Land. Präsident Janukowitsch floh schließlich nach Moskau. Russland annektierte die Halbinsel Krim.
Auf die Krim, seine Heimat, sei er immer stolz gewesen, sagt Oleh, weil sie ein Schmelztigel war, in dem mehr als 80 verschiedene Kulturen und Völker friedlich zusammenlebten. Er habe sich als Weltbürger gefühlt, habe mit vier Jahren angefangen, Englisch zu lernen, habe in die deutsche Partnerstadt Ludwigsburg reisen dürfen. 2014 mit der russischen Annexion der Krim sei das schlagartig anders geworden. Im selben Jahr ist er zum Studium nach Deutschland gegangen. Bei einem Besuch in der Heimat 2018 habe an der Autobahn alle zehn Meter eine Werbetafel mit dem Konterfei Putins gestanden. Das sei wie Orwell gewesen. Er habe das nicht ausgehalten und sei nie wieder hingefahren, habe sich mit seiner Familie woanders getroffen. Jetzt kann er gar nicht mehr nach Hause. Es wäre zu gefährlich. Den Vater in Jewpatorija und die Mutter in Odessa sieht er nur bei Telefonaten via facetime. Steht das herrliche Opernhaus in Odessea noch? Ja, sagt Oleh, die Berliner Philharmoniker wollten dort im Frühjahr gastieren. Das fiel aus. Am 24. Februar marschierten die Russen im Donbass ein und griffen dann auch Städte an der Schwarzmeerküste an. Aber Kirill Petrenko, der Dirigent der Berliner Philharmoniker, habe fest versprochen, das Gastspiel in Odessa nachzuholen, wenn der Krieg vorbei ist.
„Mit Arbeit gegen die Machtlosigkeit ankämpfen“
Wie ist es einem jungen Mann möglich, sein Studium zu betreiben, Konzerte zu geben, sich in die Musik zu vertiefen bei dieser mentalen Belastung, bei dem Gedanken an Krieg und Zerstörung, in Sorge um die Angehörigen. „Die Machtlosigkeit ist furchtbar“, sagt Oleh. „Es geht nur, wenn man arbeitet“. Und der junge Geiger hat einen Weg gefunden zu helfen. Er vermittelt geflüchteten ukrainischen Musikern Arbeit bei Benefizkonzerten, in deutschen Orchestern und in deutschen Theatern. Sein Professor hat drei Geflüchtete in seiner Geigen-Klasse an der Folkwang Hochschule in Essen aufgenommen.
„Etwas Gutes zu tun ist das Einzige, das mir Kraft gibt“, sagt Oleh Kurochkin. „Nichts zu machen wäre das Schlimmste“.
Zusammen mit anderen Berliner Musikern hat er eine Plattform eingerichtet: www.uamusic.de
500 ukrainische Musiker sind dort aufgelistet. Schon 100 Konzerte wurden organisiert. Im Mai gründete sich in Deutschland ein Orchester aus geflüchteten ukrainischen Musikern mit dem Namen „Mrya“, das heißt Traum. Es besteht hauptsächlich aus Frauen, denn die jungen Männer dürfen ja das Land nicht verlassen. „Versäumen Sie es nicht, dieses Orchester zu hören, wenn es in Ihrer Nähe ist“, sagt Oleh Kurochkin. „Die sind sehr sehr gut“.
„Wir sind Botschafter unseres Landes und der Menschen“
Dmytro Udovychenko sagt auf die abschließende Frage nach der eigenen Zukunft: „Was wir tun können, ist, unseren Job gut zu machen. Jetzt ein Ukrainer zu sein, ist eine hohe Mission.“ Oleh Kurochkin ergänzt: „Viele sagen, wenn Sie unsere Namen hören: ach, Sie sind Russe. Nein! Russland und Ukraine ist nicht das Gleiche, das müssen wir jetzt erklären. Wir sind Botschafter unseres Landes, unserer Musik und unserer Menschen. Das ist unsere Aufgabe für die nächsten Jahre.“