Friedrich Gernsheim
Die Villa Musica Musikgeschichte von Rheinland-Pfalz beginnt mit dem Wormser Friedrich Gernsheim und seinem dritten Klavierquartett – die Überraschung zum Jahreswechsel in Mainz und Engers.
Villa Musica Musikgeschichte von Rheinland-Pfalz
Kapitel 1: Friedrich Gernsheim
75 Jahre Rheinland-Pfalz ist für die Villa Musica ein willkommener Anlass, in den nächsten Monaten immer wieder auf bedeutende Musikerinnen und Musiker aus der Geschichte unseres Bundeslandes hinzuweisen. Wir schreiben eine kleine Villa Musica-Musikgeschichte von Rheinland-Pfalz. Dem Wormser Friedrich Gernsheim gebührt der Vortritt, war er doch der bedeutendste jüdische Komponist, der jemals in unseren Landen geboren wurde, und zugleich einer der größten Meister der spätromantischen Kammermusik im Umfeld seines Freundes Brahms. Sowohl unser früherer Künstlerischer Leiter Klaus Arp als auch unser Künstlerischer Direktor Alexander Hülshoff haben sich mit Nachdruck für Gernsheims Werke eingesetzt. Dies führte schon zu etlichen Villa Musica-Aufführungen seiner Kammermusik. Zuletzt erklang das dritte Klavierquartett von Gernsheim in den Jahreswechsel-Konzerten 2021-22 - zur freudigen Überraschung des Publikums in Mainz und Engers. Diesem Werk und seinem Komponisten sind die folgenden Betrachtungen gewidmet.
Friedrich Gernsheim und sein drittes Klavierquartett
von Karl Böhmer
Das dritte Klavierquartett F-Dur Opus 47 von Friedrich Gernsheim ist ein idealer Einstieg in das Leben und Schaffen des jüdischen Komponisten aus Worms. Es verweist auf seine Wurzeln im Rheinland, auf seinen von Brahms geprägten Stil und auf seine hohe melodische Begabung, die, gepaart mit harmonischer Farbigkeit und einem luziden Klangsinn, die besondere Qualität seiner Kammermusik ausmacht.
Friedrich Gernsheim kam am 17. Juli 1839 in Worms zur Welt. Die altansässige jüdische Familie trug den Namen der kleinen südhessischen Stadt Gernsheim am andern Rheinufer und war so prägend für die jüdische Gemeinde in Worms, dass ihre Namen noch heute in der Alten Synagoge zu lesen stehen. Vom Leiter des Wormser Musikvereins, Louis Liebe, erhielt der kleine Fritz die erste Unterweisung im Tonsatz und auf dem Klavier, auf dem er sich im Revolutionsjahr 1848/49 bei Ernst Pauer in Mainz vervollkommnete. Als Elfjähriger ging er nach Frankfurt, als Dreizehnjähriger ans Leipziger Konservatorium, wo bei drei berühmten Lehrern aus der Ära Mendelssohn studierte: Klavier bei Ignaz Moscheles, Violine bei Ferdinand David und Musiktheorie bei Moritz Hauptmann. Paris wurde zum Höhepunkt seiner Lehr- und Wanderjahre. Dort studierte er 1855 bis 1860 bei Marmontel am Conservatorie, freundete sich mit Saint-Saëns an, lernte den alten Rossini kennen und erlebte das brodelnde Pariser Musikleben zwischen Meyerbeers Opern und dem „Tannhäuser-Skandal“ um Richard Wagner.
Wieder zurück in Deutschland nahm er zunächst eine Chorleiterstelle in Saarbrücken an, bevor er 1865 als Lehrer für Komposition und Klavier ans Kölner Konservatorium berufen wurde. Im Alter von 35 Jahren zog es ihn in die benachbarten Niederlande: Zwischen 1874 und 1890 leitete er den Musikverein in Rotterdam, wo es ihm so gut gefiel, dass er 1880 sogar einen Ruf nach Berlin ausschlug. Erst zehn Jahre später lockte ihn die Reichshauptstadt ans Sternsche Konservatorium. Im Vierteljahrhundert seiner Berliner Jahre war er Leiter des Sternschen Gesangvereins und Dozent am Konservatorium, Mitglied der Akademie der Künste, Komponist und Pianist. 1914 ehrte ihn die Stadt Dortmund zu seinem 75. Geburtstag mit einem zweitägigen Gernsheimfest. Zwei Jahre später, am 10. September 1916, ist er in Berlin gestorben – ein Nachzügler der Brahms-Ära wie seine Freunde Max Bruch und Camille Saint-Saëns.
Gernsheims Œuvre ist dem Werk seines Freundes Brahms im Umfang und den Gattungen seltsam ähnlich. Auch er schrieb vier Sinfonien und vier große Solokonzerte, zwei Orchesterouvertüren, etliche Chorwerke und Lieder. Zentral sind die 22 Opera seiner Kammermusik. „In der Vielseitigkeit seines Schaffens fehlen nur die Oper und das abendfüllende Chorwerk.” (Willi Kahl)
Gernsheim im Gürzenich, Advent 1883
In ihrer Neujahrsausgabe 1884 brachte die Neue Musik-Zeitung eine Meldung über eine bedeutende Kammermusik-Novität, die man vor Weihnachten im Kölner Gürzenich hatte hören können: Am 11. Dezember 1883, dem Dienstag nach dem zweiten Advent, hatte der Wormser Romantiker Friedrich Gernsheim wieder einmal in seiner langjährigen Wirkungsstätte Köln gastiert und ein neues Klavierquartett vorgestellt. Es erwies sich als Meisterwerk:
„Köln a. Rh. In der letzten Heckmann’schen Kammermusik-Soirée, die unter Mitwirkung Friedr. Gernsheims stattfand und deren Programm nur Gernsheim’sche Kompositionen enthielt, kam […] ein neues (3.) Klavierquartett zur Aufführung, das sich als eines der hervorragendsten Werke der Neuzeit in diesem Genre erwies. Formschönheit, prächtige Melodik und treffliche Mache sind dem interessanten Opus insbesondere nachzurühmen. Das Heckmann’sche Quartett spielte bewunderungswürdig.“ (Neue Musik-Zeitung, Köln, 1. Januar 1884, S. 9)
Auch die Kölner Lokalpresse war voll des Lobs für das neue Werk, war der Komponist in der Domstadt doch eine vertraute Erscheinung. 1865 bis 1874 hatte Gernsheim dort als Lehrer am Konservatorium, als Leiter des Gesangvereins und Kapellmeister am Stadttheater gewirkt. Dann hatte er die Domstadt Richtung Rotterdam verlassen, wo sein Schaffen inzwischen beeindruckende Höhen erklommen hatte. 1882 hatte er in Rotterdam seine Zweite Sinfonie in Es-Dur zur umjubelten Uraufführung gebracht und anschließend in einer Adventstournee durch Deutschland mit dem größten Erfolg dirigiert. Die Spalten der deutschen Musikpresse waren voll des Lobs für die Sinfonie und seine anderen neuen Werke, darunter Elohenu, sein jüdisches Gebet für Cello und Orchester, und Agrippina, seine große Gesangszene für die Altistin Amalie Joachim. Mit umso größerer Spannung wurde die Rückkehr des Rotterdamer Musikdirektors nach Köln erwartet. Der Geiger Robert Heckmann gewährte ihm die Ehre, die zweite Soiree der Saison im Isabellensaal des Gürzenich als reinen Gernsheim-Abend zu gestalten.
Gernsheim und Heckmann
Das Heckmannsche Quartett zählte damals schon zu den besten Streichquartetten Europas und machte sich durch prominente Uraufführungen einen Namen, darunter Griegs g-Moll-Quartett und diverse Brahms-Novitäten. Gernsheim hatte dem Ensemble sein a-Moll-Quartett Opus 35 gewidmet, mit dem Heckmann die Soiree am 11. Dezember 1883 im Gürzenich eröffnete, gefolgt vom D-Dur-Streichquintett Opus 9. Höhepunkt des Abends war die Uraufführung des Klavierquartetts F-Dur op. 47. Es wurde so vollendet aus der Taufe gehoben, dass der Kritiker der Kölner Nachrichten an den Musikern nichts auszusetzen hatte:
„Die Aufführung, bei der der Komponist selbst den Klavierpart spielte, war vortrefflich und gab namentlich dem zweiten Satze die richtige Beleuchtung. Herr Prof. Gernsheim ist als gediegener Pianist hier so bekannt, daß es überflüssig erscheinen dürfte, die vielen guten Seiten seines Spiels nochmal hervorzuheben. Das Heckmannsche Quartett aber bewies wieder durch sämtliche Vorträge des Abends, wie berechtigt die vielen schmeichelhaften Superlative sind, welche man hier sowohl auswärts bei Beurteilung seiner Leistungen zur Anwendung bringt.“ (Kölner Nachrichten, 11.12.1883)
Vom Komponisten Gernsheim war der Rezensent generell weniger angetan als vom Pianisten. Er hielt ihn für einen edlen Epigonen:
„Was Gernsheim giebt, ist Mittelgut. Er beherrscht die Technik vollständig und versteht es, vorzugsweise die Kammermusikformen mit geschmackvollen, ansprechenden Gedanken auszufüllen. Seine Erzählungen sind interessant, nicht neu, aber auch nicht gänzlich bekannt, und selbst Gedanken, die uns schon deutlicher an den eigentlichen Autor erinnern, weiß er eine neue Seite abzugewinnen. So nimmt uns denn die Art, wie er sie ausspricht, seine stets noble Ausdrucksweise für ihn ein.“
Immerhin musste der Kölner Kritiker konzedieren, dass es sich beim F-Dur-Klavierquartett von 1883 um eine bedeutende Novität handelte:
„Dem Werke, welches als eine sehr bemerkenswerte Bereicherung der Kammermusik anzusehen ist, sind Formschönheit und prächtige Melodik eigentümlich. Höchst charakteristisch und pikant ist besonders der zweite Satz, ein Allegro energico e passionato, während der erste Satz mit dem dritten, einem sehr empfindungsvollen Andante, wohl auf einer Stufe steht und das Finale (Thema mit Variationen) sehr viel versprechend beginnt, in der Entwickelung aber in etwa enttäuscht. Im ganzen Quartett sind die Themata trefflich durchgeführt und bilden, fest aneinander geschlossen, ein schönes harmonisches Ganze, wodurch sich das Werk schon vorteilhaft auszeichnet vor so vielen neuern Kompositionen gleichen Genres, die zuweilen nichts weiter sind als eine lose Folge mehr oder weniger guter Gedanken.“
Diese Beschreibung bestätigt die nähere Betrachtung des Werkes, das zu den klangschönsten und melodisch reichsten Klavierquartetten des Repertoires zählt.
Klavierquartett F-Dur, op. 47
Wie sein Freund Brahms hat Gernsheim drei Klavierquartette geschrieben. Während er im frühen Es-Dur-Quartett von 1865 noch ganz unter dem Einfluss von Schumann und Mendelssohn stand, orientierte er sich im c-Moll-Quartett von 1870 deutlicher an den ersten beiden Brahmsquartetten. Im F-Dur-Quartett von 1883 ging er eigene Wege, zwischen romantischer Schwärmerei im Kopfsatz, einem schwelgerischen Andante und dem humorvollen Finale. Lediglich der vom Kölner Kritiker so gepriesene zweite Satz sorgt für dramatische Akzente.
Für die lyrische Grundhaltung des Werkes ist das einleitende Allegro tranquillo entscheidend. Dieses „ruhige Allegro“ im Dreiertakt wird vom Klavier auf denkbar einfache Weise eröffnet: mit einem alpenländischen Rufmotiv in Oktaven. Erst im siebten Takt fügen die Streicher Akkorde hinzu. Nach zwölf Takten übernehmen sie das Thema, versetzen es aber sofort in die Terzverwandte A-Dur – ein Hinweis auf Gernsheims schillernde Harmonik, die in der Fortspinnung Es-Dur und Ces-Dur berührt. Der F-Dur-Ganzschluss wird im Diminuendo erreicht, so dass die Überleitung ganz leise einsetzen kann. Das Kopfmotiv liegt nun im Klavierbass und grundiert Cantabile-Linien der Streicher, die sich zu einem ganz knappen, heftigen Fortissimo verdichten. Danach setzen sich sofort wieder die leisen Töne durch: Geige und Cello stimmen im Unisono einen hymnischen D-Dur-Gesang an, eine Art Reminiszenz an den Brahms des Violinkonzerts und der Zweiten Sinfonie. Das Streichtrio spinnt dieses Seitenthema alleine weiter, bis im vollgriffigen Klaviersatz ein neues Motiv einsetzt, ein ruppiger Volkstanz, „heiter und gut markiert“ zu spielen. Damit ist die Themenvorstellung aber noch nicht abgeschlossen, denn das Cello löst sich aus dem Quartettklang und stimmt einen langgezogenen, sehnsüchtigen Gesang in D-Dur an, den die Geige in hoher Lage aufgreift und hymnisch steigert. Eine leise Reminiszenz ans Hauptthema beschließt die Exposition. Das Motiv wird vom Cello aufgegriffen, umgekehrt und nach Moll versetzt. So verwandelt sich das Hauptthema unversehens in einen melancholischen f-Moll-Gesang - der Beginn der Durchführung, die sich ganz auf das Hauptthema konzentriert. Kämpferische Varianten des Themas lassen nicht lange auf sich warten, doch immer wieder fällt die Stimmung ins Nebulöse zurück. Umso schöner, wenn die Bratsche das Hauptthema endlich wieder in der Grundtonart spielt. Nun kehrt auch das schöne Seitenthema wieder, danach der kesse Marcato-Volkstanz und das hymnische dritte Thema des Cellos. Die leise Reminiszenz ans Hauptthema, die schon die Exposition beendet hatte, mündet nun in die Coda. Ein zartes Streicherduett steigert sich so emphatisch, dass es am Ende doch noch zur rauschenden Apotheose des Hauptthemas kommt.
Das Scherzo setzt als Allegro energico e appassionato in d-Moll einen grellen Kontrast zum lyrischen Kopfsatz, was bei der Uraufführung 1883 in Köln offenbar zündende Wirkung entfaltete. Der 9/8-Takt des griffigen Klavierthemas wird dabei immer wieder durch Hemiolen verschleiert. Schon im brillanten Hauptteil fehlt es nicht an weichen, leisen Episoden, doch die eigentliche Überraschung birgt das Trio. Auf dem Höhepunkt der kämpferischen d-Moll-Erregung, zwischen Streichertremolo und Klavierstaccato, bricht das Allegro plötzlich ab und macht einem ganz leisen und verträumten Un poco meno mosso in D-Dur Platz. Dieses Trio ist aus Akkord-Spinnweben des Klaviers und leisen Streicherkantilenen schemenhaft gewoben. Um diesen schönen Eindruck nicht zu zerstören, hat Gernsheim eine ganz leise, flirrende Rückleitung zum Scherzo-Hauptteil geschrieben. Mitten hinein in dieses „Waldweben“ spielt das Klavier die Reprise seines d-Moll-Themas. Es wird zwingend bis zum kantig furiosen Schluss gesteigert.
Das Andante cantabile gehört zweifellos zu Gernsheims schönsten langsamen Sätzen. Über einem verführerisch schönen Klanggrund entfaltet die Violine eine weitgespannte, träumerische Kantilene in B-Dur. Die aufsteigenden Klangnebel im Klavier und der Bratsche erinnern gleich an zwei Vorbilder: an den Anfang von Bachs Kantate „Weichet nur, betrübte Schatten“, BWV 202, die schon 1862 in der Alten Bachausgabe erschienen war, und an das Andante aus dem zweiten Klavierquartett von Brahms. Wie Wolkennebel hüllen diese Klänge den Gesang der Violine ein – ein Claire de lune, ein Nachtstück im silbrigen Mondlicht. Herrlich, wie sich die Melodie zwanglos entfaltet, wie sie danach von den tiefen Streichern aufgegriffen wird und endlich auch im Klavier erscheint, bevor der erste Teil mit einem Plagalschluss leise ausklingt. Auf diese 31 Takte schönster romantischer Stimmungsmalerei lies Gernsheim einen ebenso meisterlichen Mittelteil folgen, einen Klagegesang des Streichtrios in b-Moll, der von wogenden Triolen der Bratsche getragen wird. Das Klavier mischt sich zaghaft ins Geschehen ein und greift auch das b-Moll-Thema zunächst leise und zögernd auf, zum Pizzicato der Streicher. Behutsam steuert die Musik auf den Ausbruch der vollen Leidenschaft im Fortissimo zu: Über wogenden Bratschen- und Klavierklängen spielt die Geige das b-Moll-Thema in hoher Lage, molto appassionato e sempre con forza, „sehr leidenschaftlich und stets mit Kraft“. Wie immer in Gernsheims Violinsoli spürt man den ausgebildeten Geiger. Der Ausbruch der Leidenschaft scheint sich schon zu beruhigen, da greift der Cellist noch einmal con forza in die Saiten und führt den Moll-Mittelteil zum schmerzlich bewegten Ende. Was nun folgt, ist eine der schönsten Rückleitungen in der romantischen Kammermusik. Sie beginnt mit einem Ges-Dur-Trugschluss und geheimnisvollen Klavierakkorden, lässt dann die Nebelschwaden der Streicher wieder aufsteigen. Über Ces-Dur/H-Dur wird endlich B-Dur erreicht, doch noch immer lässt das Hauptthema auf sich warten. Erst nach 20 wundervollen Rückleitungstakten stimmt das Cello in hoher Lage den B-Dur-Gesang vom Beginn wieder an, gesteigert durch eine Gegenstimme der Violine, durch neue Vorhalte und synkopische Wendungen. Die Coda zieht in unendlich rührenden Dissonanzen die Quintessenz aus dem Thema und verklingt ganz leise.
Mit sicherem Gespür lies Gernsheim auf dieses wunderschöne Andante kein ähnlich tiefgründiges Finale folgen, sondern ein Stück rheinischen Humors: ein Tema con Variazioni über ein simples Trompetenthema. Ohne jede Begleitung eröffnet der Pianist den Satz quasi Tromba, mit einem Fanfarenthema in der rechten Hand, so als wäre er ein Solotrompeter im Orchester. Auf diesen Vordersatz von acht Takten antwortet im Nachsatz gleichsam der volle Bläsersatz in Klavierakkorden, begleitet vom nachschlagenden Pizzicato der Streicher – imaginäre Orchestermusik. Sofort geht es in die erste der zwölf Variationen, die Gernsheim zu drei Teilen gruppiert hat: als Allegro in F-Dur, als langsamen Mittelteil in f-Moll/F-Dur und als tänzerischen Kehraus. Der erste Teil, Allegro moderato e pesante, suggeriert eine Synthese aus Variationen- und Sonatenform: Auf das Thema folgt die erste Variation als martialische Überleitung. Die Geigenmelodie der zweiten Variation dient als Seitenthema, das sich bis in das Klaviersolo der dritten Variation erstreckt. Die folgende Streichervariation aus Staccato und Pizzicato scheint eine Schlussgruppe anzudeuten. Danach scheinen Klavier und Streicher in eine wuchtige Durchführung einzusteigen, doch plötzlich kommt es zur Vollbremsung vor der sechsten Variation: Im Grave setzt ein klagender f-Moll-Kontrapunkt der Streicher ein, eine dreistimmige Invention im Bachstil. Das Klavier meldet sich mit barocken punktierten Rhythmen zurück, doch die Bratsche beschwichtigt mit einem süßen Andantino im Siciliano-Rhythmus. Die übrigen Streicher steigen auf diesen neuen Duktus ein, so dass in der Mitte des Satzes eine Insel aus langsamen Intermezzi entsteht – die Variationen 6 bis 9. Sie dienen als Spannungsstau vor dem dritten Abschnitt. Die Variationen 10 bis 12 hat Gernsheim zu einem Allegretto scherzando e ben misurato im 6/8- und 2/4-Takt zusammengefasst – ein Parcours aus rasend schnellen Läufen. Am Ende meldet sich unversehens der kraftvolle Rhythmus aus dem Nachsatz des Variationenthemas zurück und eröffnet eine kurze, wuchtige Coda mit orgiastischem Schluss.